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Kreuzzug

Kreuzzug

Titel: Kreuzzug
Autoren: Marc Ritter
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Höhle. Da war nichts. Kein Lichtstrahl kam hier herein, kein Widerschein, nicht ein einziges Photon. Sie sah ohne Lampe hier einfach null Komma nichts.
    Diese Gedanken machten Sandra Thaler nicht nur einfach nervös, sie musste immer öfter gegen Panikattacken ankämpfen, die in ihr aufsteigen wollten. Besonders dann, wenn sie wieder eine Stelle passierte, an der sie in verschiedenen Richtungen weitergehen konnte, sie nicht wusste, ob sie sich nach rechts oder links wenden sollte, ob nach oben oder unten. Dazu erinnerte sie sich nicht, ob sie auf dem Hinweg schon einmal an einer dieser Stellen gewesen war. Dieses Höhlensystem war nicht nur weitläufig, es war unermesslich.
    Sie versuchte, sich auf andere Gedanken zu bringen, dachte über das nach, was sie gesehen hatte. Diese Leute mussten es irgendwie bewerkstelligt haben, ihre komplette Ausrüstung hier hereinzuschaffen. Den Tisch, die Stockbetten, die Kisten, die überall standen. Sie mussten den optimalen Weg kennen. Sie mussten die Durchgänge, die eindeutig mit Werkzeug geschaffen worden waren, gehauen haben. Die Steinplatten, die manches Loch einmal abgedeckt hatten, mussten sie auf die Seite geräumt haben. Aber wer hatte die Gänge angelegt, die die natürlichen Teile der Höhle miteinander verbanden und die diese Steinplatten verschlossen hatten? Doch nicht diese Truppe! Sie hatten sie sehr wahrscheinlich nur wiederentdeckt.
    Natürlich hatte Sandra Thaler von den uralten Sagen gehört, die von Geistern, Höhlen und Goldschätzen im Rein- und Höllental berichteten. Aber das waren doch nur Legenden. Genau wie die der Venediger Manndl, die man sich in ihrem Heimatort Mittenwald erzählte. Diese sollten kleine Wesen aus Italien gewesen sein, die sich auf das Auffinden von Schätzen in den Bergen verstanden.
    Sandra Thaler wusste, dass zu ihres Großvaters Kindertagen viele Leute daran geglaubt hatten. Ob diese uralten Geschichten doch einen wahren Kern hatten? Sie sah ja diese Gänge, und sie war durch sie hindurchgeschlüpft. Und die Leute in diesem riesigen Felsendom waren ja auch da gewesen. Sie hatte sie auf die Speicherkarte ihrer Kamera gebannt. Eindeutig bewiesen. Und sie waren aus einer anderen Richtung gekommen. Sie hatten diese Frau im roten Overall mit sich geschleppt. Sie waren aus dem Zugspitztunnel gekommen. Irgendeine Verbindung musste es geben, da war sie ganz sicher.
    Was aber, wenn ihr niemand glauben wollte? Wenn man die Fotos für gestellt hielt. Würde der
stern
sie wirklich kaufen? Würde sie irgendwer auf der Erde kaufen? Oder würde man sie als Betrügerin, als Scharlatan abstempeln?
    Wieder war da dieser Selbstzweifel. Sie verfluchte sich. Sie war doch sonst nicht so unsicher. Der Stress der letzten zehn Stunden und die Angst vor dem Tod in dieser Höhle brachten ihr Nervenkostüm komplett durcheinander. Sie musste bald hier raus.
    Wieder stieg ein Panikschub in ihr auf. Sie wollte schreien. Laut schreien. In den höchsten Tönen, bis der Fels um sie herum zerspringen würde wie ein Kristallglas. Sie atmete tief aus, um die Panik aus dem Körper zu vertreiben. Sie schloss die Augen und stellte sich ein positives Bild vor. Eine Sommerwiese. Eine Alm. Eine Berghütte. Sie mit Markus. Sie cremte ihm zärtlich den Rücken ein. Aber halt, das war gar nicht Markus. Der Hautton war ein anderer. Er war dunkler. Das Haar war auch anders. Es war schwarz. Sie cremte Thien den Rücken ein, ihrem Ex-Freund.
    Was hatte das nun zu bedeuten? Sie wurde langsam verrückt, sagte sie sich. Sie würde hier nicht mehr rauskommen. Es war klar, dass sie hier nicht mehr rauskommen würde. Sie hatte ihr Glück für einen Tag aufgebraucht. Im Frühjahr, während der Schneeschmelze, würde die Höhle wieder voll Wasser laufen, und ihr Körper würde zwischen den Felsen zerrieben. Ihre Kamera. Ihre Objektive. Die MPi. Alles würde zu feinem Sand zerrieben, der irgendwann aus dieser Höhle hinaus in die Partnach gespült und von ihr ins Tal geschwemmt würde.
    Kleinste Partikel nur würden von dem Plastik und dem Metall bleiben. Im Mikrogrammbereich. Sand eben. Von ihr selbst, von Sandra, würde nichts mehr übrig sein. Ihre zermahlene Biomasse würde von Bakterien zwischen den Sandpartikeln herausgefressen werden. Diese Bakterien würden Nährstoffe für Algen bilden. Die Algen würden Kleinstlebewesen im Fluss als Nahrung dienen. Diese würden Fische ernähren.
    Ich werde Fischfutter, dachte sie. Oder – das hört sich besser an – ich werde eins mit dem
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