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Kreuzstich Bienenstich Herzstich

Titel: Kreuzstich Bienenstich Herzstich
Autoren: Tatjana Kruse
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nach ihrer Mutter, einer rassigen Italienerin, die sein Bruder vom Papstbesuch in Rom mitgebracht hatte, aber innerlich merkte man ihr doch sehr die hohenlohischen Seifferheld-Gene an. Wie alle jungen Menschen hatte sie sehr feste Überzeugungen. Was Weltpolitik, Umweltschutz und streng vegetarische Ernährung anging, verstand sie keinen Spaß.
    Karina goss nach kurzem Hantieren am Herd exakt siebzig Grad heißes Wasser über einen japanischen Sencha und schenkte ihrem Onkel eine Tasse ein.
    »Hier, lecker Grüntee, Onkel Siggi. Ist auch gut gegen freie Radikale.«
    Seifferheld lächelte. »Ich bin kein Polizist mehr, Kleine. Seit meiner Pensionierung muss ich nicht länger gegen Radikale vorgehen.«
    Karina rollte mit den Augen.
    Die folgenden fünf Minuten vergingen in relativer Stille. Hund Onis schnarchte leise, die drei Frauen werkelten jede für sich auf der überlangen Arbeitsplatte und Seifferheld schürzte in dunkler Vorahnung die Lippen.
    Und kurz vor sieben Uhr war es dann wieder so weit.
    Der Moment kam, in dem Siggi Seifferheld bedauerte, seinerzeit von dem Bankräuber so fatal angeschossen worden zu sein, dass er nach mehreren Operationen und einer langen Reha vorzeitig pensioniert werden musste. Wäre er damals bei dem Überfall auf die Volksbankfiliale in der Marktstraße nicht seinen uniformierten Kollegen zu Hilfe geeilt, weil er zufällig gerade in der Nähe war, oder wäre er den Bruchteil einer Sekunde schneller der Kugel aus dem Weg und zur Seite gehechtet, würde er jetzt noch arbeiten, könnte morgens um sechs ins Büro der Mordkommission fliehen – ungeachtet, wann sein Dienst offiziell anfing – und müsste sich nicht der nun folgenden Entscheidung stellen, die weitaus stärkere Männer als ihn in die Knie gezwungen hätte.
    Kurz vor sieben verlangten die drei Frauen in seinem Leben wie jeden Morgen um exakt diese Zeit, dass er sich für eine von ihnen entschied: Irmi stellte den Teller mit den fetttriefenden Speckeiern vor ihn auf den Tisch, Susanne ein Holzbrett mit Magerjoghurt auf zwei Vollkornbrötchen und Karina eine Schüssel mit veganem, laktose-, milcheiweiß-, gluten- und cholesterinfreiem Müsli.
    Was würde er tun?
    Natürlich dasselbe, was er jeden Morgen tat.
    »Onis«, sagte er zum Hund, »Gassi!«
    Und wie jeden Morgen verließ er ohne Frühstück dasHaus, um erst dann wiederzukommen, wenn Susanne an ihrem Eckbüroschreibtisch in der Bausparkasse saß, Karina in der Fachhochschule war und Irmgard beim Einkaufen.
    Frührentner haben’s nicht leicht, aber oft wurden sie leichter: Auf diese Weise hatte Siggi bereits sieben Kilo abgenommen und im hehren Alter von sechzig Jahren sein Idealgewicht erreicht.
    Immerhin.
    Ein Gutes hatte das Ganze also wenigstens.
Zurück! Oder mein Hund sabbert Sie an!
    Aeonis vom Entenfall, Rufname Onis, war für die Hovawart-Zucht ungeeignet. Er hatte nämlich eine Knickrute. Anders ausgedrückt: Sein herrlich buschiger, bernsteinbeiger Schwanz ringelte sich wie bei einem Ferkel.
    Besagte Knickrute hob er jedoch voller Stolz und Lebensfreude, wenn er mit seinem Mensch Gassi gehen durfte. Wie ein großer Puschel schaukelte sie hoch über seinem Allerwertesten hin und her. Andere Hunde mochten das bisweilen als Impertinenz empfinden, aber die Zweibeiner nahm dieser Anblick von Schönheit und Fröhlichkeit ausnahmslos für ihn ein. Zumal er Menschen liebte und als Beweis seiner Liebe ausnahmslos jedem seinen Schädel in den Schritt rammte und ausgiebig sabberte.
    Sein Mensch ließ ihn am liebsten frei laufen. Und Onis genoss das sehr. Im Turbotempo schoss er mit der ganzen Kraft seiner zwei Jahre durch den Stadtpark. Meistens sah Seifferheld von seinem Hund nur ein blitzartiges beiges Aufleuchten am Horizont oder hörte ein heiteres Wuff-wuff,wenn Onis einer der vielen Stockenten auf dem Kocher einen freundschaftlichen Gruß zubellte. Was die ungeselligen Stockenten in aller Regel mit einem genervten Quaken und Fluchtflügen quittierten.
    Siegfried Seifferheld – jugendliche sechzig, gletscherblaue Augen, eisengrauer Kurzhaarschnitt, Sternzeichen Jungfrau, Aszendent mal gewusst, aber für nicht wichtig erachtet – hatte den Hund kurz nach seinem Berufsunfall geschenkt bekommen. Die Kugeln, die Hüft- und Oberschenkelknochen partiell zu Knochenspänen verarbeitet hatten, ließen ihn in einem Alter zum Frührentner werden, in dem andere erst so richtig loslegten und Polizeichef in kleineren oder auch größeren Orten wurden oder doch zumindest vom
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