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Kreuzstich Bienenstich Herzstich

Titel: Kreuzstich Bienenstich Herzstich
Autoren: Tatjana Kruse
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sich eine Zukunft vorstellen konnte. Und wer in ihr nur sein billiges Vergnügen suchte, der bekam, was er verdiente. Schmerzhaft langsam. Der Letzte war wohl noch gar nicht ganz kalt, aber Zeit zum Trauern ließ sie sich nicht. Die hatte sie in ihrem Alter einfach nicht mehr. Auf zu neuen Ufern.
    Und ihr Neuer, der war eindeutig der Richtige. Kein Zweifel möglich. Das wurde etwas Festes. Sie spürte es. Mit jeder Faser ihres Körpers.
    So. Ein letzter Dampfstrahl – dann war das Laken fertig.
    Perfekt!

1. Kapitel
Männer aufgemerkt: Einen Harem zu haben wird gnadenlos überschätzt …
    Sie war körperlich greifbar. Die Ruhe vor dem Sturm.
    Morgens, eine Minute vor halb sieben, in einer Küche in Schwäbisch Hall.
    Siegfried Seifferheld lehnte sich auf dem altersschwachen Thonet-Stuhl zurück, sah zur Uhr über dem Herd und zählte stumm die Sekunden – rückwärts natürlich, wie bei einem Countdown: fünf, vier, drei, zwei, eins.
    Schlag halb sieben setzten die vollen Glocken der St. Michaelskirche am Marktplatz zum Morgengeläut an. Die alten Fachwerkmauern der Häuser schienen ins Vi brieren zu geraten, als die Schallwellen mit voller Wucht auf historische Bausubstanz und zeitgenössische Trommelfelle prallten. Die Übernachtungsgäste in den marktplatznahen Hotels Goldener Adler, Adelshof oder Scholl pflegten unweigerlich kerzengerade im Bett hochzuschießen, fanden das Geläut nach der ersten Nacht pittoresk und reagierten ab der zweiten Nacht genervt. Seifferheld war dagegen von Kindesbeinen an daran gewöhnt – das seifferheldsche Stadthaus lag Luftlinie keine zweihundert Meter von der Kirche entfernt –, und er liebte das wuchtige Läuten der uralten Glocken. Von Genervtsein konnte bei ihm keine Rede sein.
    Im Gegenteil, als wegen eines Stromausfalls im September 1978 das Geläut ausfiel, war er schlagartig aufgewacht, weil etwas fehlte, und er hatte seinerzeit einige Minuten gebraucht, bis ihm klar wurde, was genau dafehlte. Das Läuten der elektrisch in Gang gesetzten Glocken nämlich.
    Auch sein Hund, ein bernsteinfarbener Hovawart-Rüde namens Onis, hatte sich in seinen zwei Lebensjahren an das Läuten gewöhnt. Er lag schlafend unter dem Küchentisch, stieß nur hin und wieder ein leises Schnaufen aus. Ein Wachhund im Standby-Modus.
    Nach exakt so viel Minuten wie der Durchschnittsgläubige brauchte, um ein frommes Vaterunser zu sprechen und somit geläutert in den Tag zu treten, hörte das Glockengeläut der evangelischen Stadtkirche auf.
    Seifferheld seufzte, nahm noch einen Schluck Apfelmost und wappnete sich für das, was nun kommen würde. Für den Sturm nach der Ruhe.
    Er war unaufhaltbar, wie die Zeit. Wie eine Horde durchgehender Büffel. Wie eine Flutwelle.
    Unausweichlich wie das Schicksal.
    Und da kam er auch schon.
    Der Orkan.
    »SIIIIEGFRIED!«, donnerte es.
    Seifferhelds Schwester Irmgard trat in die Küche. Sie war der einzige Mensch auf Erden, der ihn mit seinem Taufnamen anredete. Und ihm allein durch das gedehnte Aussprechen seines Namens das Gefühl gab, die Eltern enttäuscht zu haben, weil sie ihm einen Namen gegeben hatten, der eines germanischen Helden wert gewesen wäre, aber kein Held aus ihm geworden war.
    »Morgen, Irmi!«, rächte sich Seifferheld.
    Nicht einmal Hannelore, ihre beste Freundin seit Kindergartentagen, wagte es, sie Irmi zu nennen. Es war ja schon ein Privileg, sie mit Irmgard anreden zu dürfen,normale Sterbliche hatten sich an ein zackiges Frau Seifferheld zu halten.
    An sich machte es Seifferheld also schon zum Helden, dass er seiner Schwester derart trotzte. Hätte man zu ihrer Zeit bereits Frauen in die Bundeswehr gelassen, so wäre sie heute Generalin. Mit vier Sternen. Und so vielen Orden, dass man eine Schleppe an die Uniformjacke hätte annähen müssen, um genügend Platz für sie zu schaffen.
    Früher hätte man Irmgard Seifferheld als alte Jungfer bezeichnet und dabei mitleidig gelächelt. Allerdings nicht in ihrer Gegenwart. Und wenn doch, dann nur ein einziges Mal. Irmgard Seifferheld war ein Killer, und die bevorzugte Waffe ihrer Wahl war ihre Zunge. Mit ihrer Zunge traf sie immer ins Schwarze, brachte gestandene Kerle zum Heulen und Frauen dazu, aus Frust Unmengen Schokolade zu futtern.
    »Siegfried, Alkohol noch vor dem Frühstück – dass du dich nicht schämst!«
    Den selbstgemachten Most von Seifferhelds altem Schulfreund Erwin als Alkohol zu bezeichnen stellte eine ungeheure Aufwertung dar und war im Grunde eine Beleidigung aller
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