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Kreuzstich Bienenstich Herzstich

Titel: Kreuzstich Bienenstich Herzstich
Autoren: Tatjana Kruse
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hochprozentigen Trinkwaren. Der schon lange verblichene Opa Seifferheld hatte mit seinem täglichen Glas Apfelmost zum Frühstück das reife Alter von hunderteins erreicht und auch ihr Vater hatte dank Most gesegnete neunundachtzig Jahre geschafft, bis zuletzt klar im Kopf. Aber derlei Familientraditionen zählten für Irmgard nicht. Seifferheld seufzte. Was
man
tat, war Irmi immer schon wichtiger gewesen als individuell bewährte Entscheidungen.
    »Ein Mann muss morgens Kraft tanken, mit einem ordentlichenFrühstück. Bohnenkaffee, Eier, Wurst«, dozierte Irmgard.
    Während sich Seifferheld an seinem Most festhielt, holte Irmgard die Dose mit dem guten Hochland-Ratsherrenkaffee aus dem Vorratsschrank und brühte ihm eine große Kanne auf.
    Die riesige Küche nahm fast den ganzen ersten Stock des alten Fachwerkhauses ein, das sich seit nunmehr fast vierhundert Jahren in Familienbesitz befand. Die Seifferhelds – ein Nebenarm der berühmten hohenlohischen Familie gleichen Namens – waren nie wirklich reiche Leute gewesen und Renovierungen waren immer nur äußerst sparsam dosiert worden. Man konnte froh sein, dass sich in der Küche nicht noch eine offene Feuerstelle befand, sondern ein Neff-Gasherd, altersschwach zwar, doch ordentlich in Schuss. Die drei Meter lange Buchenholzarbeitsplatte neben dem Herd war die neueste Anschaffung im gesamten Raum und stammte aus den späten Achtzigern. Darauf brühte Irmgard nun verbissen ihren berüchtigten nachtschwarzen Muntermacher. Irmgards Kaffee war geeignet, Tote aufzuwecken.
    »Trink!«, befahl sie schließlich, drückte ihm eine dampfende Tasse aus angeschlagenem Meissner-Porzellan in die Hand und ging zum Herd, um ihm Eier mit Speck zu braten. Sie kannte ihre Pflicht als Schwester.
    Da ging die Küchentür erneut auf.
    »Papa! Wie kannst du nur Kaffee trinken? Der Arzt hat dir doch von Koffein ausdrücklich abgeraten!«
    Susanne Seifferheld war eine blendende Erscheinung. Mit Ende dreißig war sie bereits Managerin bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall. Sie strahlte Kompetenz undFührungsqualitäten aus und das lag nicht nur an ihrem eleganten, taubengrauen Armani-Hosenanzug. Der Duft des Erfolgs umgab sie. Und ein Hauch von Chanel Nummer fünf.
    Zu Seifferhelds großem Bedauern war seine Tochter, sein einziges Kind, weder verheiratet noch liiert. Enkel würde es für ihn, so wie es aussah, nicht geben. Er sah Susanne schon zu einer zweiten Irmgard heranreifen. Die Bevormundung hatte sie jedenfalls schon sehr gut verinnerlicht.
    Susanne leerte das Gemüsefach aus dem Kühlschrank und warf alles in den silberfarbenen Mixer – das einzige Küchengerät, dessen Benutzung sie beherrschte. Die Küche war nicht ihr Element, dafür war sie Herrin über Zahlenkolonnen und hochkomplizierte Statistikberechnungen. Als das infernalische Surren des Geräts loslegte, öffnete Hund Onis ein Auge, seufzte, schloss es wieder und schlief weiter.
    Seifferheld sagte nichts. Es war zwecklos. Susanne würde ihm ein Glas frisch gepressten Gemüsesaft vor die Nase stellen, wie sie es jeden Morgen tat. Ein festes Ritual. Nur die Farbe des Saftes variierte, je nach Inhalt des Gemüsefaches. An diesem Morgen erwies sich der Inhalt des Glases als dunkellila. Mit verschränkten Armen baute sich seine Tochter vor ihm auf und ließ mit ihrer Körperhaltung durchblicken, dass sie stante pede seine Entmündigung beantragen würde, sollte er nicht von dem Gebräu kosten.
    Während Seifferheld stoisch einen Schluck Gemüsesaft hinunterzwang, Irmgard noch mehr Butter in die heiße Pfanne mit den Eiern und dem Speck gab und Susanne zufriedenzum Kühlschrank ging und einen Esslöffel Magerjoghurt light löffelte, öffnete sich die Küchentür abermals und das letzte Mitglied der seifferheldschen Menage trat – noch im quietschgelben Pyjama – ein: Karina, die 20-jährige Nichte von Siggi und Irmgard, ein paradiesvogelbuntes Geschöpf, das derzeit an der Fachhochschule für Mediengestaltung studierte und bei ihnen wohnte, bis sich eine bessere Bleibe fand. Wobei zu bezweifeln war, ob es etwas Besseres gab, als kostenlos in einem fünfstöckigen Innenstadthaus mit stets prall gefülltem Kühlschrank zu logieren. Seifferheld sah Karina nicht so bald ausziehen.
    »Onkel Siggi, was trinkst du denn da?« Seine Nichte klang entsetzt. »Das ist nichts für dich. Morgens braucht der Mensch was Warmes. Du musst Grüntee trinken. Der hat viel Vitamin C.«
    Seifferheld seufzte nur. Äußerlich kam die junge Frau
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