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Kratzer im Lack

Kratzer im Lack

Titel: Kratzer im Lack
Autoren: Mirjam Pressler
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aber freuen, wenn er heimkommt.«
    »Ja«, hat sie geantwortet. »Das war damals, als ich ihn getroffen habe, als er kurz zum Rapport beim Stab gewesen ist.«
    Sie ist nicht sicher gewesen, ob die Leute ihr geglaubt haben. Es ist ihr auch egal gewesen. Damals hat sie noch nicht gewusst, ob Theo je wiederkommen würde. Sie hat sich nur darüber Sorgen gemacht, wie sie ihre Kinder großbekommen sollte in so einer Zeit.
    Es tut mir Leid, Ludwig. Hast du es gewusst? Hat irgendjemand zu dir gesagt: Hör mal, ich bin dein Freund, deshalb muss ich dir sagen, was über deine Mutter geredet wird.
    Frau Kronawitter nimmt die kleine Hacke und entfernt noch ein bisschen Unkraut. Es wächst nichts mehr, es sind nur ein paar verwelkte Grashalme, die sie übersehen hat. Das nächste Mal braucht sie die Hacke nicht mehr mitzubringen. Aber sie muss den Friedhofsgärtner beauftragen, Tannenreiser auf das Grab zu legen, damit die Blumen geschützt sind und es ordentlich aussieht bis zum nächsten Frühjahr. So um die siebzig Mark wird das kosten, aber sie kann es nicht mehr selbst machen, sie kann die Reiser nicht mehr tragen und zerschneiden. Siebzig Mark ist ihr das wert, dass das Grab ordentlich aussieht.
    Ludwig, denkt sie, ich werde mit dem Jungen reden. Es stimmt was nicht mit dem Jungen. Ich werde mit ihm reden. Mach dich nicht unglücklich, werde ich sagen, hör auf, solange noch Zeit ist, du hast dein Leben noch vor dir.
    Vielleicht hört er auf mich.
    Sie packt die Hacke wieder in ihre Tasche.
    Auf dem Heimweg schnauft der Wastl neben ihr. Er wird auch nicht jünger. Sie wird Schnitzel braten zum Mittagessen. Kalbsschnitzel mit Reis. Sie selbst isst ja lieber Kartoffelbrei, aber für den Wastl ist Reis gesünder. Sie wird sich langsam an den Gedanken gewöhnen müssen, dass er einmal nicht mehr da sein wird. Es wird leer in der Wohnung sein ohne ihn, obwohl er ihr so oft auf die Nerven fällt. Dann wird sie wirklich allein sein. Sie ist froh, dass er noch neben ihr geht, sie zu Hausecken zieht und warten lässt, bis er sein Bein gehoben und seine Spritzer hinterlassen hat. Das sind Markierungszeichen, hat sie gelesen. Das Männchen markiert sein Revier. Blöder Wastl, der einem Instinkt gehorcht, der zu nichts mehr gut ist. Er hat ja kein Revier und kein Weibchen. Und trotzdem hebt er an jeder Ecke sein Bein. Dummer Wastl. Armer Wastl.
    Auf der Treppe trifft sie Herbert. Sie erschrickt, so schnell hat sie das nicht gewollt. Er versucht, sich an ihr vorbeizudrücken, aber sie greift nach seiner Jacke, hält ihn fest.
    »Junge«, sagt sie. »Ich muss mit dir reden.«
    Er schaut sie hochmütig an, schaut an ihr vorbei. Aber diesmal ist sie stark.
    »Ich weiß, dass du das warst«, sagt sie in dieses abweisende Gesicht. »Du warst das, das mit dem roten Auto. Ich habe dich gesehen. Komm später zu mir. Ich will mit dir reden.«
    Er reißt sich los und läuft die Treppe hinunter. Frau Kronawitter wundert sich. Wieso hinunter, er ist doch auf dem Weg nach oben gewesen?
    Sie schließt ihre Wohnungstür auf und geht hinein. Wastl schnauft und fällt auf seine Decke. Sie stellt den Reis auf. Zwanzig Minuten muss er kochen. Inzwischen kann sie den Salat machen. Zwei Tomaten und eine Zwiebel, das ist mehr als genug für sie. Sie schaut auf die Uhr. Noch fünf Minuten, dann kann sie mit den Schnitzeln anfangen.
    Ob der Junge kommen wird?
    Sie deckt den Tisch, ein Teller, ein Messer, eine Gabel. Sonntags trinkt sie zum Essen ein Glas Rotwein, das ist gut für den Kreislauf. Sie salzt das Fleisch und legt es in das heiße Fett. Wastl hebt schnuppernd die Schnauze. »Riech du nur«, sagt sie, »heute gibt es was besonders Gutes.«
    Ob der Junge kommen wird?
    Sie ist froh und erleichtert, dass sie es endlich ausgesprochen hat. Ich will dir helfen, wird sie zu ihm sagen. Man kann alles wieder gutmachen, wird sie zu ihm sagen. Ich habe das gelernt in meinem Leben. Alles kann man wieder gutmachen, was man Sachen antut. Nur bei dem, was man Menschen antut, geht das nicht. Die Autos kann man neu lackieren, das ist überhaupt kein Problem. Nur was du dir selbst antust, Junge, dir und deiner Mutter, das kann man nicht reparieren. Deshalb hör auf, Junge, solange noch Zeit ist.
    So wird sie zu ihm reden. Er wird ihr einfach glauben müssen, weil es die Wahrheit ist.
    Er wird kommen, denkt sie. Ich werde nicht in den Park gehen. Ich werde hier sitzen und warten. Ans Fenster werde ich mich setzen und warten, bis er kommt. Sie hat keinen Appetit heute,
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