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Kratzer im Lack

Kratzer im Lack

Titel: Kratzer im Lack
Autoren: Mirjam Pressler
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jung. Und was geht mich das fremde Kind an? Meinem Jungen hat auch niemand geholfen, nicht mal seine eigene Mutter.
    Sie stützt sich mit beiden Händen auf die Theke. »Würden Sie mir bitte ein Glas Wasser geben? Da, hinter dem Vorhang.« Sie ist erstaunt, dass sie nur flüstern kann.
    Dann ist es wieder vorbei. Sie sitzt auf dem Stuhl und zwingt sich zu einem Lächeln. »Danke, Frau Hellberger. Jetzt geht’s schon.«
    »Sind Sie krank? Soll ich einen Arzt rufen?«
    »Nein, nein.« Sie steht auf, packt die Gummibärchen in eine Tüte. »Sehen Sie, es ist schon wieder vorbei.«
    Die beiden Mädchen sind ganz versunken in ihre Lutscher.
    »Reizende Kinder haben Sie«, sagt Frau Kronawitter. »Ich hätte auch gern Zwillinge gehabt, als meine Tochter unterwegs war.«
    Frau Hellberger nickt. Ihre Sommersprossen funkeln stolz auf der hellen Haut.
    Da sind doch alle Frauen gleich, denkt Frau Kronawitter. Du brauchst nur was Gutes über ihre Kinder zu sagen, schon plustern sie sich auf. Zum Lachen wäre es, wenn es nicht so traurig wäre. Da steht sie, die Frau Hellberger, mager, hässlich und so stolz. Dabei sind die Kinder gar nicht reizend, das könnte sie doch selbst sehen. Fett sind sie, das ist alles. Kleine Dickwänste.
    »Aber sie machen viel Arbeit«, sagt Frau Hellberger. »Stellen Sie sich die Wäsche vor, wenn zwei Kinder noch nicht sauber sind.«
    Um Himmels willen, nein, ich will mir die Wäsche nicht vorstellen. Ich will überhaupt nicht wissen, ob diese kleinen Ungeheuer da noch in die Windeln machen oder nicht. Ich will nicht über Kinder reden.
    »Ich habe ja gar nicht gewusst, dass es Zwillinge werden. Ich bin dick gewesen, schon, aber so schlimm nun auch wieder nicht. Und als die eine geboren war, die da, die Claudia, und die Hebamme gesagt hat, da kommt noch eins, habe ich gesagt, machen Sie keine Witze.« Frau Hellberger lacht und fährt dem anderen Kind über den Kopf. »Und dann ist noch die Katja gekommen, gell, Süße?«
    Sie wühlt in den Wuschelhaaren, das Kind leckt stumpfsinnig weiter.
    Frau Hellberger lacht noch mal. »Machen Sie keine Witze, habe ich gesagt.«
    Zum Glück wird es den Kleinen nun doch langweilig. Sie fangen an zu quengeln. »Heim, heim.«
    Frau Hellberger nimmt ein Kind auf den Arm, das andere an die Hand. Sie reißt ihm fast das Ärmchen aus, als sie die Stufen hinuntergeht. An der Tür dreht sie sich noch einmal um.
    »Zwillinge machen aber wirklich viel Arbeit«, sagt sie. »Sie machen sich keinen Begriff davon, wie viel. Schon allein die Wäsche.«
    Frau Kronawitter kocht sich Tee. Sie ist wieder gefasst, nur ihre Hände zittern noch ein bisschen.
    Das war der Junge, denkt sie. Das kann nur der Junge gewesen sein. Was soll ich jetzt bloß tun? Soll ich es nicht doch seiner Mutter sagen? Hätte es mir damals genützt, wenn ich es früher gewusst hätte?
    Sie trinkt den heißen, süßen Tee in kleinen Schlucken. Das tut gut. Das wärmt den Bauch auf. Den ganzen Menschen wärmt das auf. Sie legt ihre Hände um die Tasse. So hat das Theo morgens immer gemacht, wenn es noch kalt in der Küche gewesen ist. Er hat leicht gefroren, der Theo. Ich versteh das nicht, hat er dann zu ihr gesagt, wie du immer warme Hände und Füße haben kannst.
    Das ist jetzt auch schon lange vorbei, das mit den warmen Händen und Füßen. Jetzt friert sie oft. Der Kreislauf funktioniert nicht mehr richtig, wenn man alt wird.
    Eigentlich war das doch gar nicht so schlimm, was der Junge gemacht hat. Im ersten Moment regt man sich auf, natürlich, aber ein paar Wochen später hat doch keiner mehr darüber geredet. Was hast du denn davon gehabt, dass du es so ernst genommen hast? Du hast uns das Leben versaut. Das ist es doch nicht wert gewesen, oder?
    Und mit dem Herbert, warum sollte ich da was sagen? Es war doch nur Zufall, dass ich es gesehen habe. Und meine Augen sind sehr schlecht. Vielleicht kommt es auch gar nicht raus.
    Sie trinkt den letzten Schluck Tee aus der Tasse. Der Zuckersatz ist süß und pappig und knirscht sandig zwischen ihren Zähnen, als sie ihn zerkaut und runterschluckt.

21.
    Herbert ist unruhig, gespannt, wachsam. Die Mutter hat noch nichts davon erfahren, wenigstens redet sie beim Mittagessen nicht darüber, vielleicht hat sie es wirklich noch nicht gehört, vielleicht sagt sie auch nur nichts wegen dem Vater.
    Der flucht und schimpft. Er hat morgens einen Unfall gemacht. Nichts Schlimmes, nur ein paar Kratzer und Dellen, aber bei selbst verschuldeten Unfällen muss er bis
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