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Krank für zwei

Krank für zwei

Titel: Krank für zwei
Autoren: Kathrin Heinrichs
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lassen. Eine wichtige Angelegenheit, Herr Dr. Peuler. Hier, ein Schreiben von Dr. Kellermann. Sie möchten es sich bitte kurz durchlesen und mir dann wieder mitgeben. Dr. Peuler hatte ihn kurz angeblickt und einen Moment gezögert. Fast hatte er gedacht, der Arzt habe ihn erkannt. Dann jedoch hatte Peuler das Schreiben angenommen und sich hineinvertieft. Drei Sekunden lang. In der Zeit hatte er nach dem Stein gegriffen, den er bei seinem letzten Besuch dafür vorgesehen hatte, und mit voller Wucht zugeschlagen. Peuler war nach vorne gekippt. Er hatte keinen Mucks mehr gesagt. Dann hatte er das Skalpell herausgeholt und das Kreuz in seinen Rücken geritzt. Das war einfacher gewesen, als er gedacht hatte. Aber es war ja auch ein gutes Skalpell gewesen, eines der besten, die auf dem Markt waren. Dann hatte er die Locke aus der Tasche gezogen und den mitgebrachten Tesafilm, und hatte das Haar an der Rückwand der Schublade verklebt. Er hatte all seine Zeichen hinterlassen. Dann hatte er den selbst verfaßten Zettel unter Peulers Kopf hervorgezogen und war gegangen.
    Das Ganze war ihm gut gelungen. Nicht mal Fingerabdrücke hatte er hinterlassen, denn er hatte einen Handschuh getragen. Die rechte Hand hatte im Handschuh gesteckt, die linke nicht, denn damit hatte er Peuler den Zettel gereicht. Alles war gut ausgedacht, sehr gut ausgedacht. Und auch beim zweiten Mal hatte er mit viel Sorgfalt gearbeitet. Allerdings war ihm dabei der Zufall zu Hilfe gekommen. Eigentlich hatte er nur mal schauen wollen – sich noch mal ein Bild machen, vom Haus, vom Grundstück, von der Einfahrt, um besser planen zu können. Und dann war sie einfach aus dem Haus gekommen. In Sportkleidung. Er hatte verwirrt auf die Uhr gesehen. Früher war sie immer schon früh morgens aufgebrochen, wenn sie walken wollte. Warum also jetzt erst am späten Vormittag? Aber sie war wohl aus dem Rhythmus. Das konnte man ihr ansehen. Sie war aus dem Rhythmus. Auf jeden Fall hatte er sofort gespürt, daß das eine Gelegenheit war. Er wußte, wo sie lang lief, und er wußte, wo er sie mit dem Auto antreffen konnte. An den Wagen zu kommen war ganz problemlos gewesen und das Abpassen auch. Und sogar die Sache selbst war ihm leicht gefallen. Noch leichter als bei ihrem Mann. Vielleicht weil die Art und Weise, wie er es getan hatte, so eng mit Schneewittchen verknüpft war. Oder weil er wußte, daß er es nun vollständig geschafft hatte. Vollständig, weil sie jetzt beide ihre Strafe bekommen hatten – beide, die sie im Auto gesessen hatten. Ihre gerechte Strafe. Das war richtig.
    Und trotzdem hatte er jetzt ein Problem. Da war dieser Lehrer. Das wußte er jetzt. Er war ein Lehrer. Und dieser Lehrer war ihm auf den Fersen. Er hatte die Locke gefunden. Und er wußte irgend etwas über Schneewittchen. Dieser Lehrer würde dafür sorgen, daß er eingesperrt wurde. Davon war er fest überzeugt. Er würde die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Er würde ihn verfolgen, ihn verraten. Das wollte er nicht. Das wollte er ganz und gar nicht! Aber dieser Mann wurde den ganzen Tag überwacht. Ein Polizeibeamter saß vor seinem Zimmer. Sie ließen niemanden durch außer dem Lübke. Das hatte der Polizist selbst erzählt. Jetzt mußte er eine Lösung finden. Eine Lösung. Müde wiegte er sich hin und her. Er wäre gerne nach Hause gegangen. Aber er konnte doch nicht einfach gehen. Nicht, bevor er eine Lösung gefunden hatte. Ruckartig bewegte er sich nach hinten und stieß gegen die harte Kirchenbank. Er würde nicht eher gehen, bevor er die Lösung nicht im Blick hatte.

46
    Benno war nicht da. Überhaupt sah der ganze Verwaltungstrakt verriegelt und verrammelt aus. Alles war dunkel. Offensichtlich hatte Benno kein Glück gehabt. Vielleicht versuchte er es jetzt auf anderem Wege. Ich beschloß denselben Umweg zu nehmen, den ich auch gekommen war. Vielleicht konnte ich so wieder in mein Zimmer eindringen, ohne daß meinem Polizisten mein Verschwinden überhaupt aufgefallen war. Als ich ins Treppenhaus kam, war es gespenstisch still. Nur eine Notbeleuchtung war angeschaltet, es war nicht so richtig hell. Eilig machte ich mich auf den Weg nach oben, als ich plötzlich ein Geräusch hörte. Ich warf einen Blick durchs Treppengeländer. Jemand kam herunter. Ich sah eine Hand auf dem Handlauf. Ein Husten. Plötzlich beugte sich oben jemand über das Geländer und schaute nach unten. Ich fuhr zusammen. Ein blonder Pferdeschwanz und blaue Augen – Pfleger Stefan.
    »Sie hier?«
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