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Krank für zwei

Krank für zwei

Titel: Krank für zwei
Autoren: Kathrin Heinrichs
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es in dieser kleinen Stadt zuging. Kaum hätten die Sanitäter mich zu Gesicht gekriegt, hätte einer von ihnen sich schon als Schülervater geoutet. Und morgen war es dann am gesamten Elisabeth-Gymnasium herum: Herr Jakobs hat sich wegen einer leichten Blinddarmentzündung mit Blaulicht ins Krankenhaus bringen lassen – prust. Nein, nein, da würde ich doch lieber auf der Privatfahrt in die Klinik glorreich verenden.
    Na ja, ganz so schlimm würde es schon nicht werden.
    Dachte ich.

2
    »Blinddarm«, sagte der Arzt müde, während er etwas in eine Karteikarte eintrug. Wahrscheinlich die Abrechnungsziffern.
    »Blinddarm! Das habe ich auch gleich gesagt!« Der Pfleger, der mich zuvor durchgecheckt hatte, versuchte nun, sich am Arzt vorbei an meine Behandlungsliege zu lavieren. Das fiel ihm nicht ganz leicht, weil er figurmäßig eher an einen Maikäfer denn an eine laviertaugliche Blindschleiche erinnerte. Ein grüner Maikäfer übrigens, denn der Pfleger trug einen grünen, unförmigen Anzug, wie ihn auch die OP-Leute im Fernsehen anhaben. »Gustav, habe ich mir gesagt, wenn das kein Blinddarm ist, dann hast du 30 Jahre lang umsonst als Pfleger gearbeitet.« Dabei nickte der Mann selbstgefällig, was sein Doppelkinn in unvorhergesehene Wallungen brachte. Gustav hieß er, das hatte er mir gleich zu Anfang gesagt. »Pfleger Gustav. Seit dreißig Jahren hier im Pankratius-Krankenhaus. Da hat man alles gesehen, glauben Sie mir.« Ein verheißungsvolles Lächeln in meine Richtung sollte mich beruhigen. »Machen Sie sich keine Sorgen! War’ doch ein Wunder, wenn wir nicht auch Sie lebend wieder hier raus brächten, woll?«
    Das waren Worte der Zuversicht! Sogleich hatte ich mich besser gefühlt! Dabei war ich anfangs etwas enttäuscht gewesen. Ich kannte doch diese Szenen aus einschlägigen Krankenhausserien. Immer dieselbe Anfangsszene. Da schleppte sich ein Hilfesuchender mit letzter Kraft in die Notaufnahme, und kaum hatte eine hochengagierte Schwester ihn zu Gesicht bekommen, schrillten im gesamten Krankenhaus die Alarmglocken. Alles drehte sich nur noch um den Patienten. Sanitäter eilten herbei, Schwestern und Ärzte in Hülle und Fülle. Alle arbeiteten schweißtreibend und überstündlich, um den Armen zu retten und zu versorgen. Da war man als Verletzter etwas! Dort stellte man etwas dar! Und so ähnlich hatte ich mir meinen eigenen Einstand in der Notaufnahme auch vorgestellt! Folglich hatte ich meinen Schritt verlangsamt, als wir uns dem Pförtner genähert hatten. Vorsorglich hatte ich außerdem meine Arme in den Unterbauch gepreßt und einen entsprechenden Gesichtsausdruck aufgelegt.
    Trotzdem hatte es zwei Minuten gedauert, bis Alexa es geschafft hatte, den Pförtner vom Telefon loszueisen. »Wo ist denn die Notaufnahme?« hatte sie durch das winzige Glasfensterchen gebrüllt. »Die NOTAUFNAHME?«
    Reizenderweise hatte der Pförtner dann die Hand auf die Muschel gelegt und uns den Weg beschrieben. Was heißt beschrieben? »Linker Gang«, hatte er zurückgebellt und dann weiter telefoniert. Um sein Mitleid zu erregen, hätte ich vor seinen Augen kollabieren müssen. Ich hätte Schnecken spucken und grüne Punkte haben müssen. Und selbst dann hätte ich nicht sicher sein können, daß er dieselben Krankenhausserien guckte wie ich.
    In der Notaufnahme dann die klassische Desillusionierung. Alle anderen in der Warteschleife hatten viel erbärmlicher ausgesehen als ich. Das kleine Kind zum Beispiel, das sich in der Haustür die Finger gequetscht hatte und nun schrie wie am Spieß. Dann der Handballspieler, dessen rechter Arm die besten Siebenmeter augenscheinlich hinter sich hatte. Ganz zu schweigen von den zwei Brüdern, deren Alkoholfahne einen Abstinenzler ins Koma hätte schicken können. Der eine mit einem veilchenblauen Auge, der andere mit einer knochenmäßig ziemlich platten Nase, die aber zum Ausgleich von einer ballonähnlichen Schwellung verziert war – was zum Alkoholpegel wiederum paßte. Inmitten dieser illustren Gästeschar war eine Erkenntnis in mir gereift: Wenn man hier arbeitete, mußte man ein ganz besonderer Mensch sein. Es hatte etwas von Frontcharakter, wenn man in der Notaufnahme Verbände anlegte. Frontcharakter – der zeichnete auf jeden Fall auch Pfleger Gustav aus.
    »Wann haben Sie zum letzten Mal gegessen?« Der diensthabende Mediziner holte mich aus meinen Gedanken heraus.
    »Gegessen?«
    Alexa und ich hatten ziemlich opulent zu Abend gespeist, Nudelauflauf und Salat, nicht zu
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