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Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Titel: Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Autoren: Petros Markaris
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unterwegs zu sein und bei einem Stadtbummel Ablenkung zu finden.
      Der Reisebus hat die Brücke überquert und fährt auf eine Anhöhe, an deren linker Seite sich Werftanlagen befinden. Ich blicke von oben auf das Goldene Horn mit all den Motorbooten und Lastkähnen herab und auf die Tausenden von Autos auf der Küstenstraße, die auch wir gestern auf dem Weg zum Ökumenischen Patriarchat entlanggefahren waren.
      »Diese Küstenstraße hat es früher nicht gegeben«, erzählt die Mouratoglou Adriani. »Nach Fener, Halic oder Balat ist man mit kleinen Dampfern gefahren, die elend lange brauchten, weil sie an jeder Anlegestelle haltmachten. Die Reise auf diesen winzigen Spielzeugdampfern war immer vergnüglich. Außerdem hatten es die Leute damals noch nicht so eilig wie heute.«
      Ich blicke auf die Moscheen am gegenüberliegenden Ufer, die in Reih und Glied zu stehen scheinen, bis das Panorama hinter den Häusern eines breiten, aber gesichts-und charakterlosen Boulevards verschwindet, wo einsturzgefährdete Ruinen Seite an Seite mit geschmacklosen modernen Billigbauten stehen. Im Erdgeschoss sind kunterbunt durcheinander allerlei Läden untergebracht: ein Krämer, ein Geschäft für Autoersatzteile, ein Teppich- und Strohwarenladen, dann wieder ein Dessousgeschäft und dazwischen immer wieder Imbissstuben, die Toast und Fruchtsaft anbieten.
      »Die Straße, auf der wir uns gerade befinden, ist der Tarlabasi-Boulevard«, informiert uns die Fremdenführerin. »Tarlabasi war einer der ethnisch gemischten Stadtteile Istanbuls. Hier lebten Griechen, Türken, Armenier und, in geringerer Zahl, Juden.«
      »Ist das jetzt hier Beyoglu?«, fragt der Feldherr a.D. die Fremdenführerin.
      »Beyoglu ist die türkische Bezeichnung, Herr General«, erklärt die Mouratoglou. »Die Konstantinopler Griechen nannten diese Gegend Pera. La grande rue de Pera. So wurde sie nicht nur von den hiesigen Griechen genannt, sondern auch von den Franzosen. Das sollten Sie im Gedächtnis bewahren, denn wenn Sie Konstantinopel zurückholen und die alten Namen wieder einführen wollen, müssen Sie sie schließlich kennen.«
      Darauf tritt Schweigen ein, und keiner hat etwas hinzuzufügen. Ich sehe im Seitenspiegel das Gesicht der Fremdenführerin, die der griechischen Minderheit von Istanbul angehört. Sie hat das Mikrophon sinken lassen und blickt lächelnd auf die Straße hinaus.
      Der Reisebus hat den Taksim-Platz erreicht und biegt in die Straße ein, in der unser Hotel liegt.
     
     

* 3
     
    Die Mouratoglou hat uns in ein Restaurant geführt, das »Imbros« heißt und dessen Inhaber - wie zu erwarten war - von der gleichnamigen, ehemals von vielen Griechen bewohnten, seit 1923 türkischen Ägäisinsel stammt. Wir sitzen im Freien, an einer langgezogenen Straße, auf der es fast kein Durchkommen gibt, da in der Mitte die Tischchen der Mezzelokale und Imbisse von beiden Straßenseiten aufeinandertreffen. Auf dem Weg hierher haben wir eine Straße passiert, in deren Läden nur gebratene Muscheln angeboten wurden, ein Stück weiter trafen wir auf eine Reihe von Läden, die nur gefüllte Muscheln feilboten, und dann stieg uns der Duft von orientalischen Gewürzen, scharfer Wurst und geräucherten Meeräschen kitzelnd in die Nase, die vor den Lebensmittelgeschäften baumelten wie die Weintrauben an den Obstständen unserer Wochenmärkte. Ich weiß nicht, was mir nach meiner Rückkehr nach Athen am nachdrücklichsten in Erinnerung bleiben wird: die Hagia Sophia, der Bosporus oder die Düfte dieser Stadt.
      »Na, so was, sind die Türken so unersättlich?«, fragt Adriani die Mouratoglou mit verwunderter Stimme.
      »Die Türken sind keine großen Esser. Wir Konstanti-nopler Griechen verspeisen gut und gerne doppelt so viel«, ertönt hinter uns die Stimme des Wirts aus Imbros, den uns Frau Mouratoglou als »Herrn Sotiris« vorgestellt hat.
      »Was Sie nicht sagen!«, wendet Adriani ein. »Auf unserem Weg hierher war doch jeder zweite Laden ein Restaurant.«
      »Den Türken liegt weniger am Essen als am genießerischen Probieren, Madame«, erläutert der Mann aus Imbros. »Der Türke hat gern zehn Teller vor sich, um stundenlang davon zu kosten. Ich muss sagen, ich ziehe die Griechen als Kundschaft vor.«
      »Wieso?«, frage ich.
      »Weil sie gieriger und daher leichter zufriedenzustellen sind. Man stellt ihnen einen ordentlichen Braten auf den Tisch, vielleicht noch ein Moussaka, und nach einer Stunde haben
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