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Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Titel: Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Autoren: Petros Markaris
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Ausführungen eines Priesters in einer slawischen Sprache lauschen.
      Adriani bedeutet mir von weitem, mich wieder der Gruppe anzuschließen. Ich gehorche ohne große Begeisterung, da mir mein einsamer Spaziergang viel besser gefällt als das auswendig gelernte Geleier der Fremdenführerin, das die Tatsachen eher vernebelt als erhellt.
      »Komm, wir gehen auf die Frauenempore«, erklärt mir Adriani und hängt sich feierlich bei mir ein, als schritten wir zur österlichen Auferstehungsfeier.
      »Der Nordwestflügel, der zur Frauenempore und zum Versammlungssaal der heiligen Synode führt, wurde im sechsten Jahrhundert errichtet«, fährt die Fremdenführerin fort.
      Wir laufen eine gewundene, gepflasterte Rampe hoch, die wie ein überdachtes Altstadtgässchen wirkt. An jeder Kurve befindet sich ein kleines, viereckiges Fenster, das die Rampe gerade so viel erleuchtet, dass man nicht auf die Nase fällt.
      »Lass jetzt das Handy in Ruhe, Schatz, du brichst dir noch alle Knochen!«, maßregelt die Stefanakou ihren Sohn.
      »Ich will nur testen, ob es in diesem Bunker überhaupt Empfang hat.«
      »Jetzt reicht's, spiel nicht damit rum, Stelaras, wir wollen weitergehen!«, greift sein Vater ein.
      Stelaras ist der fünfzehnjährige verzogene Sohnemann des Ehepaars Stefanakos, in einem Alter also, in dem selbst Marlon Brando wenig anziehend wirkte. Seine Mutter ruft ihn naheliegenderweise >Stelios<, doch sein Vater zieht aus unerfindlichen Gründen dem niedlichen >Stelakos< das grobe >Stelaras< vor.
      »Ist der byzantinische Kaiser hier hochgeritten?«, fragt die Pachatouridou die Fremdenführerin.
      »Nein, hier ist die Kaiserin auf die Frauenempore hochgeschritten, um an der heiligen Messe teilzunehmen«, verbessert die Fremdenführerin, die an der Spitze der Gruppe geht. »Der Kaiser ist unten geblieben, im Narthex.«
      »Sind Sie da sicher?«
      Die Fremdenführerin bleibt stehen und lächelt sie an: »In der Literatur ist das Zeremoniell gut dokumentiert. Nirgendwo wird erwähnt, dass sich der Kaiser zu Pferd auf die Frauenempore begeben hätte.«
      Die Pachatouridou beugt sich zu Adriani und flüstert ihr ins Ohr. »Wo hat man die denn aufgetrieben? Die hat ja keine Ahnung. Konstantinos Paleologos, der letzte byzantinische Kaiser, ist hier hochgeritten, daran gibt's nichts zu rütteln.«
      Sobald wir das enge, schlecht erleuchtete Gässchen verlassen, empfängt uns eine breite Lichtschneise, die durch die großen Fenster der Frauenempore hereindringt. Rechts liegen die Fenster, links die Säulen und in der Mitte ein geräumiger Gang mit einem Marmorfußboden.
      »Von hier aus hat die Kaiserin die heilige Messe verfolgt.« Die Fremdenführerin deutet nach links zu der Stelle, wo einst der Thron der Kaiserin stand.
      Zum ersten Mal blicke ich in die entgegengesetzte Richtung, nämlich von oben nach unten, und ich frage mich, ob die Hagia Sophia jemals bis auf den letzten Platz gefüllt war. Wie viele Gläubige wären nötig gewesen, um jeden Sonn- und Feiertag ein anständiges Publikum für die Messe zu garantieren? Vielleicht sollte sie ja aber auch nur dem Hofstaat und der kirchlichen Hierarchie als offizieller Zeremonienraum dienen. Mein Verdacht erhärtet sich, als wir den Saal betreten, in dem die heilige Synode tagte. Wenn sie hier zusammentrat, dann war das Gotteshaus logischerweise eine Art Regierungssitz und nicht so sehr für die Kirchengemeinde gedacht. All das reime ich mir freilich selbst zusammen, denn meine Beziehung zur Kirche besteht nur gerade im alljährlichen Besuch der Auferstehungsmesse zu Ostern. Früher schleppte mich meine Mutter noch ans Kirchweihfest zu Ehren eines Dorf- oder Stadtheiligen, und während meiner Ausbildung an der Polizeischule gehörte es dazu, am Sonntag die Messe zu besuchen.
      Vor dem Mosaik, das die Gottesmutter mit dem Jesuskind im Arm zwischen Johannes Komnenos und Kaiserin Eirene zeigt, drängelt sich eine Gruppe Japaner, die wieder zwanghaft fotografiert. Eine kleine Japanerin baut sich genau vor der Gottesmutter auf, um zwischen Komnenos und Eirene abgelichtet zu werden, und dabei strahlt sie vor Begeisterung über ihre Eingebung. Wie sie so dasteht, sage ich mir, sieht es auf dem Foto bestimmt so aus, als würden zwei Köpfe, ihrer und der des Jesuskindes, aus ihrem Körper wachsen. Doch das scheint den Fotografen der Truppe überhaupt nicht zu stören, der den anderen bedeutet, von diesem Motiv ebenso Gebrauch zu
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