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Korsar und Kavalier

Titel: Korsar und Kavalier
Autoren: Karen Hawkins
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Christian ausharrte, weil er glaubte, dass ihre Mutter ihn nach ihrer Freilassung für diesen treuen Dienst belohnen würde. Anfangs hatte sich der Hauslehrer ihnen gegenüber durchaus wohlwollend verhalten. Doch als die Zeit ins Land ging und es immer unwahrscheinlicher schien, dass Mutter je zu ihnen zurückkehrte, hatte Brooks’ Stimmung sich gewandelt.
    Als ihn letzte Woche auch noch der Earl abgewiesen hatte, war Brooks deutlich mürrischer und ärgerlicher geworden. Er trank viel und bemühte sich nicht mehr, sich seinen Zöglingen gegenüber höflich zu verhalten. Manchmal konnte man schon vom Gegenteil sprechen. Tristan ließ die Schultern kreisen und zuckte zusammen, als er den blauen Fleck spürte, den Brooks’ Stock dort hinterlassen hatte - nur weil er zu fragen gewagt hatte, ob sie Vater nicht noch einen weiteren Brief schreiben sollten.
    „Tut es noch weh?“, fragte Christian ruhig.
    „Es ist bloß ein bisschen steif. Ich habe es schon fast vergessen.“
    Einen Moment loderte in Christians Blick Wut auf. Unbändige, reine Wut, bei deren Anblick Tristan vor Staunen den Mund aufriss. Doch gleich darauf hatte sich diese Gefühlsregung schon wieder verflüchtigt, und Christian sah erneut zum Fenster hinaus.
    So war Christian eben: Er wusste seine Gefühle zu verbergen. Mutter sagte immer, er sei wie ein See - eine spiegelglatte Oberfläche, unter der sich eine gefährliche Strömung verbarg. Tristan hingegen sei wie das Meer - seine Gefühle sprühten und schäumten auf der Oberfläche, rollten und brachen sich wie Wellen, in jeder Situation. Auch in dieser. Vor allem in dieser.
    Von unten drang eine Salve betrunkenen Gelächters herauf. Christian und Tristan drehten sich gleichzeitig zur Tür. Das brüllende Gelächter verklang ein wenig, doch der allgemeine Lärmpegel hatte sich erhöht. Irgendwo in diesem Gebrüll befand sich auch Mr. Brooks und vertrank und verspielte das letzte bisschen Geld, das ihnen noch geblieben war.
    Tristan lehnte die Stirn an die Scheibe. „Ich hasse es.“
    Christian sah seinen älteren Bruder an. Er liebte Tristan, sah zu ihm auf, doch manchmal schien sich sein Zwilling an Hoffnungen zu klammem, die es gar nicht gab. „Wir können nicht hierbleiben.“
    „Müssen wir doch. Wir müssen auf Vater warten.“ Tristan seufzte, und das Glas beschlug. „Vielleicht kann Mr. Brooks ja an Vaters Verwalter schreiben und so herausfinden, warum Vater uns nicht geantwortet hat ...“
    „Mr. Brooks hat schon genug getan“, erklärte Christian harscher als beabsichtigt. Verletzt presste sein Bruder die Lippen aufeinander. Schuldbewusst verschränkte Christian die Hände im Rücken. Er krallte die Finger so fest ineinander, dass sie schmerzten. Niemand sollte sehen, wie sehr seine Hände zitterten. Als er letzte Nacht oben auf der Stiege gesessen hatte, hatte er mehr belauscht, als er Tristan gesagt hatte. Mr. Brooks hatte mit einem Mann in langem Mantel gesprochen. Der Hauslehrer schuldete dem Mann Geld - eine Menge Geld. Brooks hatte schon alles Wertvolle verkauft. Alles, was ihm jetzt noch blieb, waren ...
    Jetzt presste auch Christian die Lippen aufeinander. Er wollte nicht mehr daran denken. Später, wenn Tristan schlief, würde ihm schon einfallen, wie sie beide entkommen könnten, bevor der Hauslehrer beschloss, das Letzte zu verkaufen, was ihm noch blieb. Er und Tris würden davonlaufen, vielleicht nach London gehen und einen von Mutters Freunden aufsuchen. Vielleicht könnten sie sogar jemand finden, der ihr half. Jemand, dem sie mehr am Herzen lag als ihrem Vater.
    Der Gedanke an den Earl grub sich glühend in seinen Magen. Er hasste seinen Vater. Hasste ihn so sehr, dass es ihm nicht einmal gereicht hätte, den alten Mann tot zu sehen. Eines Tages würde er seinen Vater umbringen für all das, was er ihm und Tristan angetan hatte. Und für das, was er für Mutter nicht getan hatte. Da saß der alte Mann inmitten seiner Privilegien, seiner Güter, seines Vermögens und wollte sich nicht die Mühe machen, sich um jemanden zu kümmern, der nicht unmittelbar in seiner Gunst stand. Nicht einmal um Mutter, die doch einmal so furchtbar verliebt in den Mann gewesen war.
    Der Gedanke an seine Mutter weckte neue Schatten. Es lag nun fast ein halbes Jahr zurück, dass sie mitten in der Nacht aus dem Bett geholt und ohne Erklärung ins Gefängnis geworfen worden war. Wochenlang wollte ihnen niemand sagen, warum man sie verhaftet hatte. Als Christian schließlich mithörte, wie der
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