Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
damit?«
    »In der Einleitung habe ich beschrieben, wie ich einen Mann niederschlug, Anders. Es war deine Idee, Emilie. Ich habe nicht viel davon gehalten, ich wollte mich nicht selbst bloßstellen. Aber schließlich habe ich getan, was du gesagt hast. Ich habe über die Geschichte geschrieben, ehrlich und offen. Und was ist passiert? Gab es jemanden, der mir Vorwürfe gemacht hat?« Sie schüttelt den Kopf. »Im Gegenteil, ich wurde für meine Ehrlichkeit belohnt. Den Leuten gefiel es,Emilie. Vielleicht gab es den einen oder anderen, der meinte, ich hätte das Falsche getan, als ich so ohne weiteres auf einen anderen Menschen einschlug. Und eigentlich war es ja auch falsch. Aber die Leser fanden es gut, dass ich es wagte, diese Geschichte zu erzählen. Für mich war es eine Erleichterung, sie mit anderen zu teilen. Kannst du mir folgen?«
    Ich nicke, natürlich kann ich. Sie meint, ich soll auf die gleiche Art mein Herz ausschütten. Ich bekomme regelrecht Angst, denn was stellt sie sich vor, was ich getan habe? Ist doch etwas im Garten aufgetaucht? Vielleicht eine der blutigen Zeitungsseiten, in denen der Kopf eingewickelt war?
    »Wann hast du Anders das letzte Mal gesehen, Emilie?« Sie sieht mich mit einem ernsten Gesichtsausdruck an.
    Ich zucke die Achseln und versuche, ruhig Blut zu bewahren.
    »Normalerweise kam er ja zurück«, fügt sie hinzu. »Er hält es ohne dieses Haus und den Garten nicht aus. Weißt du, wo er ist?«
    Sie kommt nicht weiter bei mir, und schließlich gibt sie es auf. Wenn sie wüsste, was ich auf dem Herzen habe, oh Gott, ich bin nicht sicher, ob sie es wirklich so gern hören würde.
    Aber sie scheint überzeugt zu sein, dass ich etwas zu verbergen habe, denn als sie Frau Larsen im Vorgarten sieht, geht sie zu ihr und redet auf sie ein. Ich stelle mich in die Einfahrt und tue so, als würde ich mein Fahrrad putzen; ich will hören, was Frau Larsen zu sagen hat.
    Mutter will wissen, ob sie Anders kürzlich gesehen hat. Doch Frau Larsen hat ihn zuletzt vor ein paar Monaten gesehen. Aus ihrem Fenster hat sie eines Abends gesehen, wie er auf der Straße ins Dorf lief. Und mit ihm zusammen lief eine weitere Person, die dann aber umdrehte und zurücklief.
    »Wer war diese andere Person?«, hakt Mutter nach.
    Frau Larsen behauptet, sie nicht erkannt zu haben. Aber aus den Augenwinkeln schielt sie zu mir herüber, und ich glaube, sie weiß mehr, als sie Mutter erzählt. Sie hat Anders und mich an dem Abend gesehen, als wir wie wilde Tiere herumsprangen. Aber sie verrät mich nicht, und sie sagt auch nicht, dass wir nackt gewesen sind. Entweder findet sie es peinlich, so etwas zu erzählen, oder sie will mich nicht bloßstellen. Frau Larsen ist schon in Ordnung, denke ich und lächele ihr zu.
    »War das, bevor mein Mann ihn rausgeschmissen hat, oder danach?«
    Daran kann sich Frau Larsen nicht so genau erinnern, ihr Gedächtnis ist nicht mehr das, was es mal gewesen ist.
    »Wo wollte er hin?«, fragt Mutter noch.
    »Ich vermute, in die Stadt, oder? Dort hat er doch angeblich ein Zimmer, er sollte doch studieren, soviel ich weiß.«
    »Und seither haben Sie ihn nicht mehr gesehen?«
    Nein, und nun ist Frau Larsen offensichtlich der Ansicht, dass sie sich genug über Anders unterhalten haben. »Knarrt eigentlich noch immer etwas bei Ihnen?«
    »Nein«, erwidert Mutter. »Es ist deutlich besser geworden.«
    »Was habe ich gesagt? Mit einem Ölkännchen lässt sich Vieles richten.«
    Mutter gibt ihr recht, dreht sich um und geht an mir vorbei ins Haus.
    »Und was ist mit dir, Emilie«, wendet sich Frau Larsen an mich, »wie geht es dir? Hast du dich eingewöhnt oder würdest du lieber in der Stadt wohnen?«
    »Mir ist es eigentlich egal.«
    »Egal. Das klingt ja nicht so überzeugend. Du hast so eine nette Mutter, und dein Vater kommt ja auch oft zu Besuch. Das muss doch schön sein.«
    »Woher wollen Sie das denn wissen?«
    »Tja, vielleicht hast du recht.« Frau Larsens Mundwinkel zucken nervös, und ich bin richtig erschrocken, wie brutal ich plötzlich klinge. Gern würde ich ihr erzählen, dass es eigentlich ganz anders ist, als sie glaubt. Dass ihr Ölkännchen nicht alles richten kann.
    »Ich könnte Ihnen schon etwas erzählen, wenn ich wollte«, sage ich.
    »Das könntest du bestimmt, aber ich finde, du solltest es nicht tun«, erwidert sie, dann fällt ihr ein, dass sie ein Brot im Ofen hat. Sie dreht den Rollator um und verschwindet so schnell sie kann in ihrer Wohnung. Sie will nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher