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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Tages auspacken würde.
    Wenn Jacob im Bett liegt, sitzen Vater und Mutter im Wohnzimmer und reden über ihn. Mutter macht sich Sorgen, ob er durch die Geschichte mit Anders nicht Schaden genommen hat. Einer Person, die ganz offensichtlich psychisch krank ist, so nahe zu sein, kann nicht gut sein. Aber Vater meint, wir könnten etwas aus der Sache lernen, wenn wir sie nur richtig verarbeiten. Manchmal legt er einen Arm um Mutters Schulter und zieht sie schützend an sich. Dieses Bild sauge ich auf. Ich bin stolz darauf, einen Vater zu haben, der auf meine Mutter aufpasst, aber ich tue so, als wäre nichts, und richte meinen Blick auf den Fernseher.
    »Wir müssen wirklich etwas für Jacob tun«, sagt Mutter.
    »Und für Emilie«, fügt Vater hinzu und sieht mich an.
    Ich spüre ein Ziehen im Bauch, denken sie jetzt auch an mich?
    »Natürlich«, sagt Mutter. »Das gilt auch für Emilie.«
    Vater ist ganz ihrer Ansicht. Das gefällt mir.
    In der Schule hat sich etwas verändert, ich finde zum Besseren. Ich bin bei meinen Klassenkameradinnen beliebter. Möglicherweise spüren sie, dass ich etwas weiß, was sie nicht wissen. Ich bewahre ein Geheimnis, sogar ein unheimliches. Jedenfalls gehen sie mit mir anders um als vorher, als ich meistens übersehen wurde. Amalie ist die Einzige, der ich mich ein bisschen anvertraut habe. Aber ich habe ihr bei weitem nicht alles erzählt. Allerdings habe ich eigentlich keine weiteren Freundinnen, und nach den Ferien musste sie wie üblich mit all ihren Erlebnissen prahlen, vor allem mit ihrem Flirt in Portugal. Sie spart nicht an den Details, ich hatte früher nie etwas zu erzählen, jedenfalls nichts, was sich mit ihren Geschichten messen kann. Aber diesmal ist es anders. Ich kann von Anders und mir erzählen, und sie hört zu. Die Geschichte seiner Eltern erfährt sie natürlich nicht, es fiele mir nicht im Traum ein, sie zu erzählen. Die anderen Geschichten sind spannend genug. Ich bin keine Jungfrau mehr, ich habe mit einem zweiundzwanzigjährigen Mann geschlafen. Und nicht nur einmal, sondern den ganzen Sommer lang. Er sah ein bisschen aus wie ein Waldgeist, und er wohnte im Garten. Niemand wusste genau, wer er war. Nachts lief er bei Vollmond nackt umher, und eines Nachts sind wir gemeinsam gelaufen. Außerdem hat jemand mit einem Gewehr auf ihn geschossen und ihn an der Brust getroffen, denn er hatte eine Narbe neben dem Herzen. All dies beeindruckt Amalie sehr. Sie sieht in Anders nicht den Psychopathen, sondern nur, dass ich eine schöne Zeit mit ihm erlebt habe.
    Obwohl es mich quält, erwähne ich auch, dass er zuerst mit Mutter geschlafen hat. Schließlich hat Vater ihn rausgeschmissen. Aber er kam zurück und wohnte im Garten. Nachts kletterte er heimlich durch mein Fenster, um bei mir zu sein.
    »Er kann doch nicht bei euch im Garten gewohnt haben«, sagt Amalie.
    »Hat er aber.«
    »In einer Höhle? War ihm nachts denn nicht kalt?«
    Ich will nicht näher darauf eingehen und tue so, als wüsste ich es nicht so genau. Aber sie glaubt mir nicht. Wenn ich lüge, erkennt sie es beinahe noch besser als Mutter. Und sie gibt auch nicht so leicht auf.
    »Glaubst du nicht, dass er sich unter der Bettdecke deiner Mutter versteckt hat? Und sobald sie schlief, lief er in den Garten und kletterte zu dir herein.«
    »Ich bin ziemlich sicher, dass er das nicht getan hat.«
    Andererseits sehe ich auch, wenn Amalie lügt; ich glaube ihr nicht, dass sie in Portugal mit einem Jungen Sex am Strand hatte. Angeblich wurde einer ihrer Schuhe ins Meer gespült, als sie sich liebten, und der Bursche hätte gesagt, »you make me verrrry happy«. Am nächsten Tag stellte sich allerdings heraus, dass er mit einer Fremdenführerin verheiratet war ‒ das alles klingt nicht nach ihrer eigenen Geschichte. Vermutlich hat ein anderes Mädchen das erlebt und einen Leserbrief an die Kolumne von Amalies Mutter geschrieben. Aber das sage ich natürlich nicht, sondern tue so, als würde ich meiner Freundin voll und ganz glauben.
    Nach Schulschluss will Amalie mit zu mir nach Hause, ich freue mich. Denn eigentlich dachte ich, sie hätte keine Lust auf eine so lange Zugfahrt, denn ich hatte sie schon mal gefragt. Als ich fünfzehn wurde, kurz vor Schulbeginn. Ich hatte die ganze Klasse zu meinem Geburtstag eingeladen, aber zu viele haben abgesagt. Als ich das Fest in den Jugendklub gleich gegenüber der Schule verlegte, kamen sie dann doch. Und jetzt haben sich meine Erlebnisse in den Sommerferien langsam
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