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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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ich gar nicht sagen weshalb, vielleicht bin ich einfach nur nervös, weil ich nicht weiß, ob sie sich im Klaren sind, was sie da tun. Sie wissen doch überhaupt nicht, was für eine Familie sie wiedervereinigen wollen. Was ist denn so viel anders und besser als vorher?
    »Und wo werden wir wohnen?«, fragt Jacob.
    Sie haben sich darauf verständigt, dass Vater zu uns ziehen soll. Jacobs Kopf läuft vor Begeisterung blau an, es braucht einige Zeit, um ihn wieder zu beruhigen.
    Mutter möchte, dass ich mich äußere. Warum ich mich nicht freue? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.
    »Ist es, weil du nun nicht zu Vater ziehen kannst?«, fragt sie.
    »Ja, vielleicht.«
    »Du bist jetzt fünfzehn, in ein paar Jahren kannst du allein in die Stadt ziehen«, meint Vater. »Also, wenn du willst. Aber ich ziehe hierher.«
    »Und was ist mit deiner Wohnung?«
    »Die werde ich verkaufen.«
    Dachte ich’s mir doch. Jetzt geht das Theater wieder los, denn wer sagt denn, dass er für die Wohnung einen Interessenten findet? Und bekommt er so viel, wie er bezahlt hat? Außerdem fallen Notarkosten an, die er garantiert nicht erstattet bekommt. Es ist wirklich ein Chaos, ich gehe hinaus und schöpfe auf der Terrasse frische Luft.
    Vielleicht habe ich es ja gar nicht so eilig, von zu Hause auszuziehen? Im Grunde ist es doch schon passiert, jedenfalls im Kopf. Wenn ich durchs Fenster blicke und sie dort sitzen sehe, in dem Glauben, sie seien glücklich, habe ich das Gefühl, dass ich mich schon weit von ihnen entfernt habe.
    Mutter kommt auf die Terrasse und stellt sich neben mich.
    »Dein Vater und ich, wir lieben uns, Emilie. Wir werden es noch einmal versuchen. Ich weiß, dass nicht alles so war, wie es sein sollte, aber wir verzeihen uns. Du musst uns auch verzeihen, und du musst Vater die Geschichte mit der anderenFrau damals verzeihen. Wir haben verabredet, dass wir keine Geheimnisse mehr voreinander haben wollen.«
    Bei dem Wort Geheimnisse schüttelt es mich, ich muss mich abwenden. Gewiss denkt sie, dass jetzt der Zeitpunkt wäre, wo ich offen mit ihr reden könnte.
    Nach einer langen Pause dreht sie mich herum, fasst nach meinen Händen und schaut mir eindringlich in die Augen. Ich spüre, dass ich jetzt etwas sagen muss.
    »Ich habe auch ein Geheimnis.«
    »Das dachte ich mir«, erwidert sie, gleichzeitig ängstlich und erwartungsvoll. Aber ich zögere lange, bis es um ihre Augen zuckt.
    »Komm schon«, flüstert sie schließlich. »Ich werde es schon ertragen.«
    Und dann erzähle ich, dass ich damals den Brief an sie geschrieben habe. Über Vater und die andere Frau.
    »Das war ich, Mutter.«
    Wie es aussieht, ist es keine große Überraschung für sie. Sie wirkt eher enttäuscht, hatte wohl damit gerechnet, dass ich ihr etwas Anderes beichten würde.
    »Und das hat dich in der letzten Zeit gequält?«, fragt sie. Ich nicke, sie schaut mich einen Moment skeptisch an. Mehr ist es nicht? Ich halte ihrem Blick stand, und schließlich umarmt sie mich und drückt mich an sich. Ich weine Krokodilstränen und denke, dass Eltern doch leicht hinters Licht zu führen sind.
    »Mach dir darüber keine Gedanken, Emilie. Du hast genau das Richtige getan.«
    Sie dankt mir sogar, weil ich so ehrlich gewesen bin. Und so wollen wir es künftig halten, wir alle zusammen, wir wollen nichts voreinander verheimlichen. Schließlich bittet sie mich noch einmal, Vater zu verzeihen. Er hätte sie damalsnicht schön behandelt, das ist wohl wahr. Aber man könne nicht immer alles richtig machen. Ich würde das besser verstehen, wenn ich erwachsen bin, sagt sie. Wir Menschen tun hin und wieder Dinge, die wir nicht tun sollten. Wir enttäuschen bisweilen auch diejenigen, die wir lieben. Aber wenn die Wahrheit auf den Tisch kommt, dann geht es darum, zu verzeihen.
    »Worüber redet ihr?«, erkundigt sich Vater, als er mit Jacob auf die Terrasse kommt.
    »Ein Gespräch unter Erwachsenen«, antwortet Mutter. »Darüber, dass es zwischen uns keine Geheimnisse mehr geben soll.« Vater ist ganz ihrer Meinung. Wir umarmen uns alle vier.
    Vater und Mutter haben die Arme umeinandergelegt, abwechselnd loben sie den Garten. Es ist so romantisch, Vater freut sich, hierherzuziehen. Sie denken, wir sind eine glückliche Familie. Ich denke mir meinen Teil. Wie blöd kann man eigentlich sein, und so etwas nennt sich erwachsen. Was wissen sie denn, wenn es darauf ankommt? Ich dagegen, ich weiß beinahe zu viel.
    Sie laufen über den Rasen zwischen die Büsche, ich
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