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KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes

KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes

Titel: KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes
Autoren: Peter J. Scholz
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— voll für 'n Kindergarten!", gab Stefan sein Urteil ab.
    Damit war es entschieden: das immer noch in Mich aels Hand auf mich wartende Sammelbild durfte nicht zu mir. Stefan übernahm das für mich. Er schnappte sich Rossi aus Michaels Hand, betrachtete es kurz, während er an seinem Wassereis schlürfte und — zerknüllte es.
    Mein Herzschlag setzte aus.
    Ich mag mich heute nicht mehr so genau daran erinnern, aber ich meine selbst heute beim bloßen Gedanken an diesen Moment einen Stich zu spüren.
    Einen Stich, der mich bis ins Mark traf.
    Leider dauerte die daraus resultierende Erschütterung einfach zu lange. Ich bin mein ganzes Leben lang ein Spätzünder geblieben.
    Damals sah ich dem zerknüllten Sammelbild hinte rher, wie Stefan es Michael an den Kopf warf.
    „T000000r!", brüllte Uwe dazu.
    Seine semmelblonden Haare, die ihm bis über den Kragen hingen schüttelte er wie beim Headbangen, das er einige Jahre später für sich entdeckte.
    Das zerknüllte Bild fiel zu Boden und kam vor Michaels F üßen zu liegen. Stefan und Uwe lachten dazu hämisch. Ich schluckte, tat aber weiterhin nichts.
    Einzig Michael mochte meine Miene in jenem Moment de uten können. Sehnsüchtig hing mein Blick an dem verlorenen Rossi.
    Dann trat Stefan an mir vorbei und versetzte dem Karton mit den Sammelbildtüten noch einen Tritt, so dass diese quer durch das Bushäuschen flogen.
    Ganz großes Kino. Mission erfüllt. Die beiden wandten sich zum Gehen. „Kommste?!"
    Das war keine Frage, auch keine freundliche Auffo rderung. Uwe wollte wissen, wie es um meine Haltung und Loyalität stand.
    Schlussendlich hatte Michael meine Position in der Klasse als Prügelknabe geerbt. Und ich war nicht scharf drauf, sie wieder zurückzubekommen. Oder auch nur zu teilen. Als braver Lemming sprang ich somit von der Klippe und trottete brav hinter Uwe und Stefan her.
    Als wir auf die Straße traten , um sie zu überqueren, sah ich mich noch einmal verstohlen um. Michael sammelte auf Knien die Tüten ein, sah dabei aber auch in unsere Richtung.
    Unsere Blicke trafen sich. „Es tut mir leid" , murmelte ich stumm. Und ich meinte, was ich sagte. Am liebsten gesagt hätte. Doch Michael verstand mich auch so. Zumindest glaube ich es bis heute. Ich beeilte mich, wegzusehen. Dann folgte ich Uwe und Stefan über die Straße in den Rest des Nachmittags und den Rest meiner weiterhin ähnlich nutz- und ereignislos verlaufenden Jugend.
    Ich habe mich als Kind geschämt wegen verschiedener Di nge, die heute nicht der Rede wert sind. Diese Sache allerdings brannte nach, unbarmherzig und stetig. Und Jahre später, als wir alle in der Abschlussklasse waren und Michael die Abschlussrede hielt, brannte sie immer noch.
    Dinge , die man sich selbst nicht verzeihen kann, sind die wahren Tätowierungen auf unserer Seele.
    ... Da hilft auch Kölsch nur ansatzweise.
    Mein B lick hat sich an den Buchstaben von Michaels
    Charakterisierung festgebissen. Sie scheinen zu ta nzen, so sehr starre ich sie an. Auf sie, durch sie — auf eine andere Seite, die nur ich sehen kann. Entrückt.
    Jemand tritt an meinen Tisch und ich ziehe mich wi eder aus dem Jenseitigen ins Hier zurück.
    Die Kellnerin, eine der angehenden Abiturientinnen des a ktuellen Jahrgangs der uns Alte heute Abend bedient, stellt mir ein frisch Gezapftes vor die Nase.
    Ich sehe sie etwas verwirrt an.
    „Von Michael, soll ich Ihnen sagen! Er musste weg und er lässt sie schön grüßen."
    Ich scheine den Grad vollkommener Verwirrtheit erreicht zu haben und starre ihr mitten in ihre grünen Augen. Sie zwinkert mir zu — und spricht weiter. So, wie man zu einem kleinen verwirrten Kind spricht, um es nicht unnötig weiter zu verunsichern.
    „Ich soll Ihnen auch sagen, dass alles gut ist. Vollkommen gut." Jetzt wird ihr Lächeln ein wenig schief. Was vermutlich daran liegt, dass sie kurz über die Worte nachgedacht hat und mich dabei anschauen muss. Was das Gesamtbild ein wenig in Schieflage bringt. Ich muss unwillkürlich lächeln — und rette damit die Situation.
    „HEYAHEYAHEYAHO!!!" — der alte Schlachtruf aus der Jungsumkleide erreicht uns und beide schauen wir zur Theke, wo Uwe und Stefan den Fünfzehnjährigen raushängen lassen müssen. Manche altern mit Würde. Manche altern. Simpel. Sonst nix.
    „Peinlich, oder?", raunen wir beide uns zu — und müssen unwillkürlich kichern ob unseres gedanklichen Bündnisses. Ich leere mein altes Glas und reiche es ihr zum Mitnehmen.
    Sie nickt mir noch einmal
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