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Kopf frei

Kopf frei

Titel: Kopf frei
Autoren: Ute Lauterbach
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kannst. Außerdem fühle ich mich supermäßig wahrgenommen, wenn du es überhaupt für möglich hältst, dass ich dich auslachen könnte. Es liegt gar nicht in meinem Charakter, andere auszulachen. Aber du drehst ja so um dein eigenes Leid, deine eigenen Fantasien, dass diese Eigenheiten meines Wesens nicht bis zu deiner Wahrnehmung vordringen können. Aber das kenne ich schon: Meine Mutter hat mich auch nie wahrgenommen, nie gewusst, wie ich bin.
UDO:
Ich hatte noch nicht mal eine Mutter! Vollwaise war ich mit vier Jahren!
    Von der Metaebene aus betrachtet, sehen wir, was schiefgelaufen ist. Die Abfahrt in die Hölle beginnt mit Udos Glaube, seine Deutung, er würde ausgelacht, sei richtig. Deshalb wirft er Ina vor, sie habe ihn ausgelacht. Er krönt seinen ungerechten Vorwurf mit der Drohung, weggehen zu wollen. Damit zieht er eines der schlimmsten Register, die in einer Liebesbeziehung denkbar sind. Ina deckt den Hintergrund ihres Lachens auf. Ohne Erfolg, denn Udo rast bereits in seinem Schmerzzug durch die Lande und strickt aus Inas Erklärung einen neuen Vorwurf: Sie nehme ihn nicht wahr. Jetzt ist der Projektionsmechanismus in voller Blüte. Udo ist als Gefangener seines eigenen Schmerzes seinerseits nicht in der Lage, Ina wahrzunehmen. Inzwischen ist auch seine Geliebte verletzt und schlägt mit Ironie zurück. Sie macht ihn darauf aufmerksam, inwiefern sie sich nicht wahrgenommen fühlt. Sie wird an einen eigenen Schmerz erinnert und bringt ihn zum Ausdruck: Sie wurde von ihrer Mutter nicht wahrgenommen. Udos Schmerzexpress ist nicht zu stoppen, weshalb er wieder nicht in der Lage ist, sich auf Ina einzulassen und ihr Raum zu geben. So holt er zum Kontaktvernichtungsgipfel aus, indem er Inas Schmerz, nicht wahrgenommen worden zu sein, nicht nur nicht versteht, sondern für gering erklärt, indem er mit seiner noch härteren Situation als Vollwaise auftrumpft. Ein eskalierendes Schmerzduell ohne Begegnung, ohne Kontakt, ohne Gegenwart! Was hier tobt, ist lediglich eine Wiederauflage von Vergangenheitsmist.
    Udo und Ina – Klappe, die zweite
    Wie hätte das Gespräch Kontakt verheißend verlaufen können? Die beiden sitzen also im Straßencafé. Ina erinnert sich an die witzige Bemerkung und lacht auf. Udo deutet, sie lache ihn aus. Das ist die kritische Stelle. Wenn er nämlich seine Deutung für die Realität hält, läuft das Gespräch wie oben dargestellt. Udo reagiert im Grunde auf seine Deutung und nicht auf das, was wirklich ist. Ist er sich jedoch dessen bewusst, dass seine Wahrnehmung möglicherweise eine Fehldeutung ist, hat er einen Gesprächs-Gestaltungsspielraum. Und zwar so:
    UDO:
Huch, was veranlasst dich zu lachen?
INA:
Ich war eben bei meiner Professorin, wir sprachen über meine Arbeit und sie hat eine lustige Bemerkung gemacht, die mir soeben wieder in den Sinn kam. Außerdem war sie voll des Lobes, weshalb ich vielleicht auch ein bisschen übermütig bni gerade. Ich könnte dich vor lauter Glück in die Luft werfen - oder vernaschen.
UDO
(spürt, wie sich seine Not auflöst, kann Inas Freude teilen und ist dankbar, dass die Gegenwart nicht so schrecklich ist, wie ihn seine Vergangenheit fürchten ließ) : Ach, toll, ich freue mich mit dir, und Vernaschen ist keine schlechte Idee. Ich fühle mich gerade so erleichtert und stolz.
INA:
Interessante Kombination! Wieso denn?
UDO:
Erleichtert, weil mein interner Vergangenheits-Auslachfilm nicht stimmt, und stolz, weil ich noch wacher und schneller war als mein Fehldeutungszwang.
INA:
Schatz, das könntest du mir noch genauer erklären, wenn du magst. Bis jetzt hab ich kapiert, dass du irgendwie über dich selbst gesiegt hast und wir somit beide Grund zum Feiern haben.
UDO:
Wenn ich gut nachspüre, ist mir das Feiern jetzt wichtiger als das Auseinanderpopeln meines Psychomülls.
    So könnte eine unverstrickte und kontaktinnige Variante des Gesprächs aussehen. Halten wir als Fazit fest:
► Kontakt und Gegenwart sind verloren, wenn wir nicht bei dem innehalten, was jetzt gerade ist.
► Sie sind verloren, wenn wir uns von oberflächlichen Assoziationen zu Verbal-Outputs reizen lassen.
► Außerdem haben sie keine Chance, wenn wir uns verhakeln und Altlast durch unsere Seele tobt.

► Kontakt, Gegenwart und Glück werden ebenfalls im Keim erstickt, wenn wir auf schmerzliche Deutungen verstrickt reagieren, anstatt sie auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
    Oder positiv formuliert:
    Je mehr wir uns selbst wahrnehmen, umso inniger und
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