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Kopernikus 6

Kopernikus 6

Titel: Kopernikus 6
Autoren: H. J. Alpers
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Erfahrungen ansammeln konnte – subjektives Altern –, ohne daß äußere körperliche Anzeichen dies auswiesen. Wie alt mochten diese jungen Leute wirklich sein?
    Als er aufwachte, hatte Neil diese Frage wieder vergessen. Als er die Augen öffnete und Electra, in seine Arme geschmiegt, erblickte, bewunderte er ihre kindliche Schönheit. Er erinnerte sich auch an die Schmeicheleien der Ausflügler, während er gezeichnet hatte. Die Erinnerung durchströmte ihn mit Freude und besänftigte die Steifheit, die ihm seine Akrobatik mit Electra beschert hatte. Seine Ölfarben befanden sich im Scout. Wenn ihnen das Zeichnen schon so gut gefallen hatte, wie mochten sie dann wohl reagieren, wenn sie ihn malen sahen?
    Er glitt von der Schlafmatte, ohne Electra zu wecken, und zog seine Jeans und sein Hemd an.
    Zuerst war es ein Schock, draußen keine Dämmerung zu erblicken, sondern das selbe, leuchtende Zwielicht, in dem er schon das Zelt betreten hatte. Er hatte immer Morgendämmerungen gemocht. Er vermißte die Morgendämmerung, die hier hätte sein sollen.
    Eine Reihe von Ausflüglern war schon auf, und es sah so aus, als sei dies schon länger der Fall. Ein Paar murmelte etwas darüber, ins Bett gehen zu wollen. Das erstaunte ihn, bis er darüber nachdachte. Ohne einen normalen Nacht- und Tagesrhythmus würde jeder nach seinem individuellen Zyklus leben.
    Clell und Capricorn waren wach und beschäftigten sich damit, ein kompliziertes Spiel zu spielen, bei dem es darum ging, Muscheln in ausgeklügelten Figuren über den Sand zu schieben. Sie waren so sehr davon gefangengenommen, daß sie ihm lediglich zunickten, als er an ihnen vorbeischritt. Clell machte offenbar einen guten Zug und lachte leise. Capricorn fluchte lange und mit einer Boshaftigkeit, die Neil überraschte. Schließlich zertrat Capricorn Clells Muschelmuster und stampfte davon, auf die Zelte zu. Clell rief ihm in beleidigendem Ton etwas nach. Doch trotz der bösen Mienen und der wütenden Stimmen nahm Neil eine gewisse Befriedigung bei den beiden Ausflüglern wahr. Er hatte den deutlichen Eindruck, daß sie den Streit und ihre Wut genossen.
    Neil schüttelte den Kopf. Es waren seltsame Leute.
    Am Scout fand er Hero, die auf der Kühlerhaube saß. Ihr Körper war mit einem blauen Streifenmuster bemalt. Sie saß mit angestrengtem Gesichtsausdruck da und studierte die Skizzen des Vorabends.
    Als er sich näherte, blickte sie auf. „Kannst du mir das beibringen?“
    „Ich kann es versuchen“, sagte er lächelnd. „Es interessiert dich?“
    Sie zuckte die Schultern. „Es ist mal etwas anderes.“
    Er hob seine Augenbrauen. „Etwas anderes? Du klingst gelangweilt.“
    „Bin ich auch.“
    „Willst du mir Modell für ein Porträt stehen?“
    Ihre Augen richteten sich plötzlich auf ihn. „Du meinst, ein richtiges Gemälde? Wie in einem Museum?“ Sie setzte sich auf und fuhr mit den Fingern durch ihre Locken. „Was muß ich tun?“
    Er holte seine Ölfarben und eine Leinwand aus dem Wagenfond. „Zunächst einmal mußt du die Netzbemalung abwaschen. Kannst du dir eine von diesen Toga-Tunika-Dingern besorgen?“
    „Natürlich.“ Sie rannte zu den Zelten.
    Neil stellte seine Staffelei nahe am Wasserrand auf. Er entschloß sich, sie im Stil von Maxfield Parrish zu malen. Über ein paar Muschein gebeugt, als Silhouette vor dem leuchtenden Blau des Dunstes, wäre sie dazu ausgezeichnet geeignet. Als Hero zurückkam, war er dabei, Farben zu mischen, bemüht, den richtigen Blauton zu treffen. In einer Toga, die eine kleine Brust frei ließ und Falten über ihre schmalen Hüften warf, sah sie wirklich aus wie eine Figur von Parrish. Wenn er jetzt nur den Blauton genau erwischte.
    „Sie werden alle zuschauen“, sagte sie. „Du hast doch nichts dagegen, oder?“
    „Ich wäre ein besseres Modell.“ Es war Electra, natürlich schmollend. „Warum hast du mich nicht gefragt?“
    „Du hast geschlafen. Ich werde auch ein Bild von dir anfertigen.“ Er seufzte. „Ich wünschte, ich hätte genug Leinwand, um euch alle porträtieren und mit zurücknehmen zu können.“
    „Zurücknehmen?“ Sie murmelten enttäuscht vor sich hin. „Du wirst doch wohl nicht fortgehen?“
    „Ich kann nicht ewig hierbleiben.“
    Electra blickte ihn an. „Warum nicht?“
    Er hielt inne und dachte nach. Niemand würde ihn vermissen. Die Zeit draußen war für ihn aufgehalten, und er konnte gehen, wann immer er wollte. In der Zwischenzeit hatte er die Gesellschaft und Bewunderung
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