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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust
Autoren: Christian Gude
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südhessischen Polizeihauptkommissar bei der Ausübung seiner Pflichten in den Weg gestellt. Sie revanchierte sich mit einem taxierenden Blick, scannte ihn von oben bis unten und lächelte süffisant über seinen Aufzug. Bevor Rünz seine Marke zücken und sie über ihre Rechte aufklären konnte, passierte etwas Magisches: Ein handtuchgroßer, beiger Lederlappen segelte aus irgendeiner Paralleldimension von oben herab und landete auf ihrem Kopf, perfekt ausgebreitet und ausgerichtet wie ein Brautschleier für Aschenputtel.
    »Einmal volltanken bitte«, rief Rünz. »Und die Frontscheibe hat’s auch mal wieder nötig«, feixte er und überquerte kichernd die Straße.
    Das tibetische Lama schien immer noch die Region unsicher zu machen, eine dutzendstarke Abordnung des Frankfurter Tibet-Hauses durchmaß in orangenen Gewändern die Taunusanlage und lud die Bankentürme mit positivem Karma auf.
    Das Gespräch mit dem Literaturagenten hatte ihm Auftrieb gegeben, Rünz war in euphorischer Stimmung. Seine Aufmachung war vielleicht nicht ideal für das Treffen mit dem Unternehmensberater, aber er war schließlich Kunde, und der Kunde war König. Sogar an die Nickelbrille mit den Gläsern im zweistelligen Dioptrienbereich hatte er sich inzwischen gewöhnt, sie bot ihm einen verzerrten, fast psychedelischen Blick auf die Wirklichkeit, der sonst sicher nur mit hohen Dosen Heroin oder LSD zu erreichen war.
    Klar, der Literaturagent hatte etwas reserviert reagiert auf die Vorstellung seines Manuskriptes. Aber eigentlich sprach es nur für dessen Professionalität, einem genialen Debütanten nicht gleich beim Erstkontakt Honig um den Bart zu schmieren. Denn gerade wenn man ein neues Talent entdeckt hatte, galt es, Ruhe zu bewahren, die eigene Verhandlungsposition zu stärken. Der spielte sicher gerade die Top-Verleger gegeneinander aus, um die bestmöglichen Konditionen herauszuholen. Lief also alles nach Plan. Rünz war guter Dinge und zuversichtlich, Hoven bald die Kündigung auf den Tisch legen zu können. Überhaupt sollte er öfter mal nach Frankfurt fahren. Wichtiger, erfolgreicher und bedeutender fühlte er sich hier, im Zentrum der Globalisierung. Und Erfolg machte sexy. Vielleicht würde er in diese neuen Unterhosen noch hineinwachsen.
    Nicht einmal der abschätzige Blick der PCC-Sekretärin, die ihn im zweiundvierzigsten Stockwerk des SkyRise-Turmes am Aufzug abgeholt hatte, konnte sein Stimmungshoch dämpfen.

     

     

     

39

    Katja Lebert starrte konsterniert in die Aufzugkabine. Da stand nur ein abgerissener Volltrottel mit schuppigem, fettigem Haupthaar und einer Nickelbrille mit Gläsern so dick wie Bullaugen, in einer abgewetzten alten Lederjacke und speckigen Breitcordhosen. In der Hand hatte er eine riesige Papiertasche mit dem Logo des Suhrkamp-Verlages, die bis zum Rand gefüllt war mit Prospekten, Nippes und Giveaways von der Frankfurter Buchmesse. Der Penner suchte bestimmt die S-Bahn hier oben. Warum hatten die Kollegen unten vom Empfang diesen Loser nicht aufgehalten? Und wo hatten sie Weilers Kunden hingeschickt?
    »Bin ich hier richtig bei PCC?«, fragte die Gestalt.
    »Ähm, ja schon«, sagte sie. Das konnte heiter werden.
    Der Mann trat aus der Aufzugkabine und streckte ihr die Hand zur Begrüßung entgegen. »Rünz. Polizeihauptkommissar. Ich will zu Herrn Weiler.«
    Katja Lebert versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Der Typ sah aus wie ein Philosophiestudent im zweiundfünfzigsten Semester, gab vor, Kommissar zu sein, hatte keine Manieren und kam offensichtlich frisch von der Buchmesse. Ergab das einen Sinn? Hatte Weiler Probleme mit der Polizei? Vielleicht Betrug, Urkundenfälschung oder irgendwelche Hochstapeleien? Oder der Typ war wirklich ein Kunde. Drittklassige Consultants hatten drittklassige Kundschaft. Nicht ihr Problem. Ihr Job war die sichere Eskorte zu Raum drei. Sie stellte sich vor und gab dem Kommissar zur Begrüßung die Fingerspitzen. Vollkontakt vermeiden, dachte sie, vielleicht hat der Läuse. Sie forderte ihn auf, ihr zu folgen. Normalerweise textete sie Besucher von Kunden auf dem Weg durch die Flure des Business Centers zu, damit die nicht auf den Gedanken kamen, sich intensiv umzuschauen oder selbst Fragen zu stellen. Aber bei diesem Gnom konnte sie sich das wohl sparen. War der Typ wirklich Kommissar? Hatten die Chefs in den Polizeipräsidien so großen Personalmangel, dass sie schon Langzeitstudenten als Quereinsteiger engagierten? Mein Gott, wenn solche Vogelscheuchen in
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