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Kontaktversuche

Kontaktversuche

Titel: Kontaktversuche
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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unseres Wohnhauses in
Sofia hinauf. Hätte ich nicht im gleichen Augenblick meine
Füße unbeweglich vor mir gesehen, ich wäre sicher
gewesen, daß ich tatsächlich auf die mir so vertrauten
Stufen trat.
Die Kommission war offenbar mit dem Erreichten zufrieden. Man bot mir
an, eine Pause einzulegen, doch ich versicherte, daß ich
keineswegs erschöpft sei und wir gleich weitermachen könnten;
denn ich brannte darauf, so schnell wie möglich den Inhalt des
Fadens zu sehen.
Der zweite Teil begann damit, daß mich jemand mit einer Nadel in
den Arm stach, obwohl niemand in meine Nähe gekommen war. Wie man
mir erklärte, hatte man das im Augenblick des Stiches vom Gehirn
eines Institutsmitarbeiters abgenommene Strombild auf mich
übertragen. Und ich kann nur sagen, daß die
Schmerzempfindung ganz natürlich war, wenn sie auch sofort wieder
verschwand. Dann sagte der Direktor des Instituts unvermittelt:
»Das Plasma ist eine Substanz mit hoher Ionenkonzentration.«
Ich wartete auf neue Eindrücke und reagierte nicht.
»Haben Sie nichts gehört?« fragte der Chefexperimentator.
»Doch. Nikolai Kirilowitsch sagte: ›Das Plasma ist eine
Substanz mit hoher Ionenkonzentration.‹ Aber das hat ja wohl mit
unserem Experiment nichts zu tun.«
»Doch, doch!« rief lachend der Direktor selbst. »Sie
nehmen an, ich habe diesen Satz eben gesprochen, aber er wurde gestern
aufgezeichnet. Ich sagte ihn zu unserem Kollegen Konowalow, aus dessen
Hirnstrombild wir ihn auf Sie übertrugen.«
Die Versuche dauerten mehrere Stunden. Schließlich waren die
Apparate so fein auf mich abgestimmt, daß ich nicht mehr
wußte, was ich selbst erlebte und was aus einem fremden
»Hirnstrombild« stammte. Am Ende hörte ich
»Tokkata und Fuge« von Bach, aber wieder auf dem Umweg
über ein fremdes Gehirn, auf Omegawellen.
Der eigentliche Versuch mit den Signalen des Siliziumfadens wurde erst
drei Tage später vorgenommen. Alles begann wie gewöhnlich.
Die Ärzte waren da, der Sessel, die Haube. Die Bildschirme
leuchteten auf, die Zeiger der Meßgeräte zitterten.
Kontrollämpchen flimmerten. Ich wartete.
Hier muß ich meinen Bericht unterbrechen. Ich verlor während
des Versuches das Bewußtsein und kann deshalb den Verlauf des
Experiments nicht aus eigener Anschauung schildern. Die folgenden
Abschnitte sind Auszüge aus dem offiziellen Protokoll.
»Der Zustand der Versuchsperson war normal. Um 9 Uhr 21 Minuten
wurde die Aufzeichnung des Siliziumfadens von Punkt 0733 an auf den
Omegagenerator geschaltet. Die technischen Daten entsprachen den
Angaben des Schaltschemas G.
Die Versuchsperson schwieg und antwortete nicht auf Fragen. Der Puls
stieg stetig und erreichte in der vierten Minute mit 98 seine
Maximalhöhe. Geringfügig erhöhte sich auch der
Blutdruck. Die Atmung war beschleunigt und oberflächlich. Die
Körpertemperatur stieg durchschnittlich um 0,1° C pro Minute.
Der Tonus der Muskulatur zeigte sich deutlich erhöht. Die Pupillen
reagierten nicht auf Lichtreize. Die Sensibilität der Haut war
stark herabgesetzt. Gegen Ende des Experiments riefen selbst
Nadelstiche keine Reaktion mehr hervor. Nach 8 Minuten 18 Sekunden
Einwirkung auf die Großhirnrinde wurde der Versuch bei Punkt 0209
der Aufzeichnung gestoppt.
Der kataleptische Zustand dauerte noch drei Minuten nach Ausschalten
des Generators an. Schließlich bewegte sich die Versuchsperson,
sie öffnete und schloß die Augen unkontrolliert und holte
mehrmals tief Luft. Dann betrachtete sie mit unsicherem Blick ihre
Umgebung und fragte auf bulgarisch: ›Wo bin ich? Wer sind
Sie?‹ Erst nach einigen Minuten kam sie vollends zu sich und
redete russisch.«
Als ich erwachte, sah ich fast alle an dem Experiment Beteiligten um
mich versammelt. Jemand erbot sich, mich in einen anderen Raum zu
bringen, damit ich mich etwas erholen könne, doch ich las auf
allen Gesichtern eine so gespannte Neugier, daß ich
beschloß, meine Erlebnisse sofort zu erzählen.
Mein erster Eindruck war der eines Meeres von blendenden Lichtstrahlen
gewesen. Ich glaubte mich zwischen zwei von Blitzen zerrissenen
Gewitterwolken zu befinden. Die Lichterscheinungen waren zunächst
rosarot und resedagrün, dann gingen sie in verschiedene Farben des
Regenbogens über. Das Ganze dauerte jedoch nur einen Augenblick,
dann wurde alles ruhig.
Ich fliege tief über eine endlose schneebedeckte Ebene. Am Himmel
hängen düstere graue Wolken. Eine seltsame Grabesstille
herrscht, ich höre keinen Laut, als seien meine Ohren
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