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Kontaktversuche

Kontaktversuche

Titel: Kontaktversuche
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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fest
verstopft. Auch andere Empfindungen habe ich nicht, ich spüre
keine Kälte, ja nicht einmal meinen eigenen Körper. Wie ein
substanzloser Geist schwebe ich über der in Schnee und Eis
erstarrten Erde. Mir ist, als könnte ich nur sehen und denken.
Unter mir jagt ein Rudel zottiger vierbeiniger Tiere einen gewaltigen
Hirsch. Doch ich fliege weiter; das blutige Drama, das sich gleich dort
unten abspielen wird, kümmert mich nicht. Hoch hinauf geht mein
Flug, über wildzerklüftete blauschimmernde Gebirge.
Ich suche etwas, ich suche ein Wesen, das mir gleicht.
Mein Blick ist starr nach vorn gerichtet. Ein paar Sekunden lang
schweifen meine Gedanken ab. Ich denke an eine andere Welt, eine
märchenhafte schöne Welt. Das Licht zweier Sonnen –
einer strahlendblauen und einer dunkelkirschroten – fällt
auf prachtvolle stählerne Gebäude. Durch die kristallklare
Luft fliegen Tausende glänzender ovaler Körper. Es herrscht
ein reges, vernünftiges, herrliches Leben. Dort sind meine
Gefährten, die mich hierher entsandt haben. Hier aber bin ich
allein!
Weiter, immer weiter.
Ich bin jetzt mitten in dem Gebirge. Plötzlich bremse ich meinen
Flug. Das, was ich suche, ist hier irgendwo in der Nähe. Ich sehe
es noch nicht, aber ein unbestimmtes Gefühl sagt mir, daß es
hier ist, hier unter mir.
Ich fliege ganz langsam und niedrig. Fast berühre ich die verschneiten Baumwipfel.
Ja. Das ist es!
Über eine vereiste, schneebedeckte Fläche flieht ein
dichtbehaartes zweibeiniges Wesen. Es strengt seine letzten Kräfte
an, um seinem Verfolger zu entgehen, einem mächtigen,
wütenden Höhlenbären. Doch das wird ihm nicht gelingen.
Nur noch wenige Schritte, und das Untier wird seine furchtbaren
gebogenen Krallen in den Rücken des Fliehenden schlagen.
Ich beobachte die Hetzjagd, und etwas erbebt in mir. Die armselige
Kreatur, dieser häßliche Zweibeiner, erregt mein
Mitgefühl. Er ähnelt mir in keiner Weise – weder an
Verstand noch in seiner äußeren Gestalt. Und trotzdem
fühle ich mich ihm verwandt. Er ist das einzige Wesen auf diesem
ungastlichen und kalten fremden Planeten, das mit mir etwas gemein hat.
Im nächsten Augenblick wird es niederstürzen, mit zermalmtem
Schädel, und der Bär wird es zerfleischen.
Ich könnte das Untier in einen Haufen Asche verwandeln, doch ich
tue es nicht. Ein kurzer Gedanke von mir genügt, um es erstarren
zu lassen – wie vom Blitz getroffen. Wie ein Baumstamm fällt
es zu Boden. Es ist nicht tot. Ich habe es nur gelähmt. Der
Zweibeiner aber flieht weiter, ohne sich auch nur umzusehen, gehetzt
von dem Entsetzen, das ihn gepackt hat.
Der Bär beschäftigt mich nicht mehr. Ich bleibe dem
Zweibeiner dicht auf den Fersen. Er flieht hinein in den Wald, erklimmt
steile Hänge. Sein Körper dampft. Er gleitet aus, fällt,
steht auf und hastet wieder weiter.
Er führt mich zu einer Höhle. Vor ihrem Eingang lodert ein
mächtiges Feuer. Ringsherum hocken etwa zehn menschenähnliche
Geschöpfe, in grobe Felle gehüllt. Im Innern der Höhle,
geschützt vor dem kalten Wind, halten sich die Frauen und viele
Kinder auf.
Beim Erscheinen des Verfolgten springen die Männer auf. Ihre
Lippen bewegen sich rasch, doch ich höre keinen Laut. Das ist auch
nicht nötig: Ich verstehe, was ihr Geschrei bedeutet, fühle
auf geheimnisvolle Weise ihren Schrecken über das plötzliche
Auftauchen ihres Stammesgenossen, ihren Zorn darüber, daß er
sie aufgestört hat, und schließlich ihre Neugier auf den
Bericht von seiner seltsamen Rettung.
Schrecken, Zorn und Neugier – Gefühle, wie auch ich sie
kenne, in höchst primitiver Form, doch mir vertraut…
Die Erregung ebbt bald ab. Der Ankömmling taucht in der Menge
seiner behaarten Brüder unter. Alle zittern vor Killte; ein
schrecklicher, unerträglicher Hunger peinigt sie.
Lange beobachte ich das Leben um die Höhle. Ich sehe, wie diese
Urmenschen sich gegenseitig grob zur Seite stoßen, wie sie
böse ihre niedrigen Stirnen runzeln und einander die Zähne
zeigen. Tiefe Trauer quält mich. Die primitiven Wesen tun mir in
ihrer Hilflosigkeit unendlich leid. Und auch ich selbst tue mir leid.
Ein Gefühl der Einsamkeit und des Verdammtseins überkommt
mich. Einem plötzlichen inneren Bedürfnis folgend,
beschließe ich, mich ihnen zu zeigen. Im selben Augenblick werde
ich sichtbar.
Ich befinde mich in einer glänzenden Kugel, von der eine Unmenge
metallener Fühler ausgehen. Gleichsam aus dem Nichts taucht eine
Art Schaltpult mit zahllosen kleinen Instrumenten
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