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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns
Autoren: Michael Scharang
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interessiert und lehne jeden Fortschritt ab, die Oberschicht sei an Privilegieninteressiert und lehne ebenso jeden Fortschritt ab. Wenn schon alles vergeblich sei, so bleibe nur, diejenige Musik zu spielen, welche die Vergeblichkeit am vollkommensten ausdrücke, die Musik Schuberts.
    Es konnte nur der Einfall des Onkels gewesen sein, einen Ausflug zu unternehmen, niemand sonst aus der großen Familie Sarani hatte jemals einen Ausflug unternommen, niemand war aus bloßem Vergnügen irgendwo hingefahren, irgendwohin in Ägypten. Ins Ausland selbstverständlich, nach Paris, wo man die Oper und die Museen besuchte, nach London, wo man sich mit Kleidung und Personenautos versorgte.
    Der Onkel, erinnerte Sarani sich, war in Ägypten eine ebenso bekannte wie mißtrauisch beäugte Person. Er galt, auch innerhalb der Familie, als Hasardeur, doch das irritierte ihn nicht. Er stand unter dem Schutz seines Bruders, der ihn zu seinen Unternehmungen, die nach Meinung der meisten scheitern mußten, sogar ermunterte. Der Onkel tat wirtschaftlich das Gegenteil dessen, was in Ägypten üblich war, er kaufte ausländische Unternehmen, insbesondere Hotels mittlerer Größe, von denen er den Eindruck hatte, die Besitzer ließen sie verkommen. Die Gäste, wollten sie die Pyramiden sehen, mußten mit diesen Absteigen vorliebnehmen. Reisten sie früher ab, als sie es geplant hatten, weil das kaputte Frühstücksgeschirr und die wackeligen Betten ihnen den Aufenthalt vergällten, störte das die Besitzer nicht, kamen doch unausgesetzt neue Touristen. Der Onkel renovierte solche Betriebe, führte sie erfolgreich, wodurch ein neuer Touristen-Typus angezogen wurde, Leute, die, nachdem sie sich drei Tage mit den Altertümern beschäftigt hatten, gern noch in der Stadt blieben, höchst erstaunt, daßdiese einen interessanten Kontrast zu den meist einem Totenkult verhafteten Altertümern bildete.
    Den Ausländern das Geschäft wegzuschnappen, deren Privileg es seit Jahrhunderten war, die Ägypter in allem zu bevormunden, dafür erntete der Onkel von den westlichen Geschäftsleuten diplomatische Proteste, von der Kairoer Geschäftswelt Argwohn und Verwünschungen. Doch der Bruder, und darauf kam es an, stand demonstrativ zu ihm. Er war nicht nur Oberhaupt der weitverzweigten Familie Sarani, er war auch, dem Rang nach, der zweithöchste Beamte des Landes, der Bedeutung nach der wichtigste. Vor ihm rangierte nur der Zeremonienmeister des Hofes.
    Der Vater konnte den Tod des Bruders, Vater und Mutter konnten den Tod ihrer beiden älteren Söhne nicht verwinden. In ihrer Trauer suchten sie Halt beim Jüngsten, doch der war niemandem zugänglich. Die Eltern führten das auf den Schock zurück, die Brüder und den Onkel verloren zu haben, aber auch auf ein wahrscheinliches Trauma, ausgelöst vom Überlebenskampf im Sandsturm.
    Er redete damals sehr wenig, aber nicht weil er unter Schock stand, sondern aus Berechnung. Er konstatierte, daß nach jenen Ereignissen niemand ein größeres Anrecht darauf hatte, seelisch und körperlich mitgenommen zu sein, als er, und er nutzte diese Chance, um, was er ohnedies vorhatte, sich mit seinen Problemen zurückzuziehen. Ohne jene Ereignisse hätte er das nicht mit solcher Kompromißlosigkeit tun können.
    Er litt nicht sehr unter dem Verlust der Brüder, sie waren um etliches älter, er hatte wenig mit ihnen gemeinsam, der Verlust des Onkels aber ging ihm nahe. DerOnkel war in der Langeweile des Alltags auch insofern ein Paradiesvogel gewesen, als er, anders als die übrigen Mitglieder der großen Familie, mit seinem Status als Aristokrat kokettierte und dem Neffen aberwitzige Geschichten von mazedonischen Vorfahren erzählte. Der Onkel jedenfalls fehlte ihm, aber er vermißte ihn nicht. Für ihn war das wichtigste, die Gunst der Stunde zu nutzen und sich gegenüber der Welt zu verschließen.
    Aus gutem Grund: Er sah sich umstellt. Von seinem sehr mächtigen, sehr gebildeten, dabei liebenswürdigen Vater, unter dem er keineswegs litt, dem er nur Gutes nachsagen konnte – abgesehen von dessen Wunderglauben an eine gute Verwaltung. Er sah sich umstellt von der fürsorglichen, massigen, gleichwohl eleganten Mutter. Beide waren im Haus präsenter denn je, seit sie sich der Trauer hingaben, denn es fehlte an Gästen, seit keine mehr geladen wurden. Den Verwandten, Freunden, Bekannten, die in dem gastfreundlichen Haus, nach Belieben fast, aus und ein gegangen waren, hatte man beschieden, sich eine Zeitlang fernzuhalten,
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