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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns
Autoren: Michael Scharang
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überirdischen hatte er nie geglaubt.
    Er hatte einen Weg gefunden, sich jenen Traum zu erfüllen. Der eine der beiden Chauffeure des Vaters, ein Nubier aus Oberägypten, der Gestalt nach ein antiker Gott, war ihm wohlgesinnt, weil Zacharias es ablehnte, sich zur Schule fahren und Stunden später von dort, von der deutschen Schule in Kairo, abholen zu lassen. In der Zeit, die der Chauffeur dadurch gewann, konnte er – ohne Erlaubnis seines Dienstherrn – mit dem noblen Auto noble Hotelgäste, denen die Rezeption ein gewöhnliches Taxi nicht zumuten wollte, zu den Pyramiden kutschieren und so gutes Geld dazuverdienen, das er dringend brauchte,denn der Dienstherr hielt ihn knapp. Der Fahrer, der das Studium der Mathematik an einer Kairoer Universität absolviert, aber keine Arbeit als Mathematiker gefunden hatte, arbeitete, wie er Zacharias erklärte, gewissermaßen doch als Mathematiker, indem er zu dem dürftigen Salär die fetten Trinkgelder der Ausländer addierte – so weit trieb er die Selbstironie.
    Zacharias war klar, daß der Chauffeur unerlaubte Fahrten unternahm, und das war ihm recht. Er konnte guten Gewissens eine Gegenleistung verlangen. Der Chauffeur mußte ihn, wenn von der Kairoer Wetterstation ein Sandsturm vorhergesagt worden war, hinaus in die Wüste bringen und ihn zwei, drei Stunden später abholen. Niemand durfte davon wissen. Wäre er im Sturm umgekommen, kein Mensch hätte sagen können – der Chauffeur würde sich gehütet haben, den Mund aufzumachen –, wie er in die Wüste gelangt war.
    Dort sammelte er Erfahrungen, wie andere Kinder am Wüstenrand zerbrochene Muscheln, gebleichte Tierknochen und Alabasterstücke sammelten. Die Erfahrungen erweiterte er, indem er beobachtete, wie Beduinen sich verhielten, mit welchen Tüchern sie sich auf welche Weise einhüllten, mit welcher Art Sandalen sie im Sand gingen. Eine solche Ausrüstung, die er sich für wenig Geld im Basar gekauft hatte, nahm er mit auf seine Ausflüge.
    Auch an jenem verhängnisvollen Tag, einem Sonntag, trug er wie seine Brüder und sein Onkel einen feinen, luftigen englischen Leinenanzug, darunter jedoch, als wäre es das Hemd, ein Beduinentuch; ohne diesen Schutz für Augen, Ohren, Nase und Mund wäre er nicht in die Wüste gefahren. Er wußte, daß zwar Kamele, nicht aber Menscheneinen Sinn dafür haben, wann der Wind – der immerfort mit dem Sand spielt und fast nie zur Ruhe kommt – sich in einen alles verfinsternden Sturm verwandelt.
    Für ihn war in den Jahren, in denen er die Wüste erforschte, eines zur beruhigenden Gewißheit geworden: Der Sturm, anders als der Wind, änderte nie die Richtung. Ging er direkt gegen ihn an, und so auch wieder zurück, gelangte er nach Stunden, während denen man nichts hatte sehen können, exakt zum Ausgangspunkt zurück.
    Dazu kam die Erfahrung, daß er, wenn er frontal, mit der ganzen Breite des Körpers, gegen den Sturm marschierte, sehr bald völlig erschöpft einhalten und froh sein mußte, nicht rücklings zu Boden geworfen zu werden. Ging er aber seitlich, was den Beinen die Technik abforderte, einen Fuß nicht vor, sondern über den anderen zu setzen, kam er gut voran. Dank dieses Wissens war er, der Elfjährige, der einzige aus der vierköpfigen Ausflugsgesellschaft, der überlebte.
    Zacharias Sarani erinnerte sich, daß man ihn, auf der Suche nach einer Erklärung, mit Fragen überhäufte. Doch er schwieg. Man hielt ihm zugute, er müsse von den Ereignissen zermürbt sein, und stellte keine Fragen mehr. Erst Jahre später, in Österreich, dem neuen Freund gegenüber – hatte er Freund gesagt?; dieser Fehler durfte ihm nie wieder unterlaufen –, gab er die eine und andere Einzelheit preis und sprach, meist belustigt, über die Folgen jener Katastrophe. Er erzählte dem Österreicher, was damals schon die Rettungsmannschaften festgestellt hatten, daß das Auto, das der Onkel lenkte, zwanzig Kilometer vor dem Ziel defekt liegen blieb. Die Nockenwelle war gebrochen.
    Wäre das sechzig Kilometer vor dem Reiseziel passiert, sie wären schicksalsergeben im Auto sitzen geblieben, hätten gewartet, bis im Lauf des Tages ein Fahrzeug vorbeikam und sie zur Oase mitnahm, von wo aus sie per Funk wieder an die Welt der Abschleppdienste und hauseigenen Chauffeure angeschlossen gewesen wären. Die läppischen zwanzig Kilometer aber glaubten sie zu Fuß zurücklegen zu können. Niemand, auch er nicht, ein Sandsturm war nicht abzusehen, hatte einen Einwand. Man fand von seinen
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