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Kommissar Morry - Der Judas von Sodom

Kommissar Morry - Der Judas von Sodom

Titel: Kommissar Morry - Der Judas von Sodom
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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erstarrten Händen der Toten zu lösen. Als er es schließlich doch geschafft hatte, klappte er gespannt den silbernen Bügel auf. Als erstes fiel ihm ein Fläschchen Parfüm in die Hände. Es trug die Aufschrift ,Soir de Paris'. Dann kam ein Schlüsselbund zum Vorschein, ein zierliches Taschentuch, ein Armreif mit echten Brillanten. Kommissar Morry stutzte, als er das blitzende Ding entdeckte. Es war kostbar. Es hatte mindestens zweihundert Pfund gekostet. Ein junges Mädchen konnte nicht ohne weiteres soviel Geld für ein Schmuckstück anlegen. Morry schob den Reif zur Seite und suchte weiter. In einem Seitenfach der Tasche fand er einen aufgeweichten Ausweis, der von der Artistenloge in London ausgestellt war. Er trug einen Stempel der Vermittlungszentrale Osburn und eine Einweisung in das letzte Engagement. Austern Bar stand da deutlich zu lesen. Austern Bar am Sodom Wall.
    Nach einiger Zeit konnte Morry auch den Namen auf der Stirnseite des Artistenpasses entziffern. „Kate Hugard“, murmelte er. „Geboren am 14. August 19 . . in Manchester ..."
    Er klappte den Ausweis zu und legte ihn sorgfältig in ein aufgeschlagenes Tuch. „Na also, meine Herren“, sagte er befriedigt. „Diesmal stehen wir doch nicht mit leeren Händen da. Wir wissen genau, woher die Tote stammt und wo sie zuletzt beschäftigt war. Soll ich mich selbst um die Ermittlungsarbeiten kümmern? Oder wollen Sie...?
    Er mußte unwillkürlich lächeln, als sich niemand meldete, der den schwierigen Fall aus seinen Händen nehmen wollte. Auch Inspektor Rhonda hörte in dieser Minute außerordentlich schlecht. Er verfügte lediglich den Abtransport der Leiche und hob die Straßensperren auf. Als das getan war, machte er sich mit den anderen eiligst aus dem Staube. Es war schließlich Feierabend und niemand konnte verlangen, daß ein rechtschaffener Beamter auch noch Überstunden machte. So sah sich Kommissar Morry wieder einmal allein auf weiter Flur. Er ging langsam an dem eisernen Geländer entlang. Von der Austern Bar zum Mulatten Klub und wieder zurück. Instinktiv nahm er den gleichen Weg, den auch das Todesopfer in der letzten Stunde seines Lebens genommen hatte.
    „Mord oder Selbstmord, das ist hier die Frage“, murmelte der Kommissar halblaut vor sich hin. „Vor dieser entscheidenden Frage drücken sie sich alle. Sie wagen nicht, sie mit ja oder nein zu beantworten.“
    Bis acht Uhr abends hielt sich Morry in einem kleinen Speiselokal in Wapping auf, dann kehrte er wieder zum Sodom Wall zurück und trat in die Austern Bar ein.
    Das Programm hatte noch nicht begonnen. Der Barraum war nur halb gefüllt. Über der Bühne senkte sich der blaue Samtvorhang. Es würde noch eine halbe Stunde vergehen, bis ein Dutzend hübsch gewachsener Girls den Männern im Saal den Kopf verdrehten. Wenn nicht alles trog, würden es heute Abend nur elf Mädchen sein.
    Kommissar Morry hielt nicht viel davon, bei Geschäftsführern und Kellnern herumzufragen. Er zog es vor, seine Erkundigungen an Ort und Stelle einzuziehen. Deshalb verschwand er unauffällig durch einen Seitenausgang und ging auf die Garderobe zu. Er konnte nicht irre gehen. Helle Stimmen und heiteres Lachen wiesen ihm den Weg. Er klopfte an die Tür. Aber man hörte sein Pochen nicht. Das Geschnatter, das durch das dünne Holz klang, übertönte alle anderen Geräusche.
    Was blieb ihm da anderes übrig, als einfach die Tür zu öffnen. Er hatte kaum den großen Raum betreten, da klang ihm ein empörtes Gezwitscher von den Spiegeltischen entgegen. Stephanie Malet, Marion Day und Liz Etty hatten bereits ihr Bühnenkostüm an. Sie blieben ruhig an ihren Plätzen sitzen. Kühl und befremdet blickten sie dem Kommissar entgegen.
    „Was wollen Sie hier, Sir? Unbefugten ist der Zutritt verboten. Das steht doch deutlich genug an der Tür. Können Sie nicht lesen?“
    Kommissar Morry nahm mit verlegenem Lächeln den Hut ab. Selten in seiner bisherigen Laufbahn hatte er so viele halbnackte Geschöpfe auf einem Haufen gesehen. Der Parfümgeruch, der ihm entgegenwehte, verwirrte ihn vollends.
    „Verzeihung“, murmelte er betreten. „Ziehen Sie sich ruhig weiter an. Ich sehe nicht hin.“
    Er wandte tatsächlich den Kopf zur Seite. In seinem Rücken hörte er verschämtes Kichern, das Knistern seidener Wäsche und das Rascheln bunter Flitterröcke.
    „Vermissen Sie niemand?“ fragte er nach einer Weile.
    „Doch, Sir“, erwiderten ihm ein paar helle Stimmen. „Aber was geht Sie das an? Wer sind Sie
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