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Kommissar Morry - Der Judas von Sodom

Kommissar Morry - Der Judas von Sodom

Titel: Kommissar Morry - Der Judas von Sodom
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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vom Fenster ab. In seinen Augen glommen ein paar helle Funken auf.
    „.Was war diesmal?“ fragte er gespannt.
    „Ich sagte schon, Sir, daß die Tote nur wenige Stunden im Wasser gelegen hatte, bevor man sie heute Nachmittag ans Ufer zog. Der Körper war weder aufgedunsen, noch zeigte er die üblichen Verfallserscheinungen. Das Gesicht war jung und hübsch und . . .“
    „Keine Romane, bitte. Kommen Sie endlich zur Sache.“
    „Die Tote trug einen Seidenschal, Sir. Wo er um den Hals lief, zeigten sich blaue Würgemale. Das Gewebe des Stoffes war eingerissen, als hätten starke Fäuste daran gezerrt . . .“
    Kommissar Morry schob polternd seinen Stuhl zur Seite. Noch in der gleichen Sekunde stand er am Schrank und nahm Hut und Mantel heraus. So gleichgültig er vorher gewesen war, so lebhaft und interessiert war er jetzt. Er brannte förmlich vor Jagdeifer. Er witterte wieder einmal instinktiv eine, lohnende Fährte.
    „Ich habe nie so recht an diese Selbstmorde glauben wollen“, sagte er zu Inspektor Rhonda, während sie beide nach unten gingen. „Junge Mädchen springen vielleicht von einer Brücke aus ins Wasser, aber sie schwingen sich nicht wie Artisten über ein brusthohes Geländer. Auch wählen ängstliche Frauen nicht gern die dunkelste Gasse des Hafenviertels für ihren letzten Schritt aus. Wenn sie schon am Leben verzweifeln, so wollen sie wenigstens in Frieden sterben. Der Sodom Wall aber ist für einen friedlichen Abschied der ungeeignetste Platz in ganz London.“
    „Wie recht Sie haben, Sir“, murmelte Inspektor Rhonda respektvoll. „Ich habe die gleiche Ansicht. Aber ich könnte sie nie in so gute Worte fassen.“ „Gehen Sie etwas rascher“, sagte Morry kurz angebunden. „Wir wollen die Herren nicht unnötig warten lassen.“
    Es war kurz nach fünf Uhr, als der blaue Dienstwagen am Sodom Wall in Wapping hielt. Über den breiten Fluß senkte sich die frühe Herbstdämmerung. An beiden Ufern glühten die langen Perlenketten der Laternen auf. Die Vergnügungslokale waren noch geschlossen. Grau ragten die Rückfronten der Austern Bar und des Mulatten Klubs aus dem trüben Zwielicht.
    „Hier ist die Stelle, Sir“, sagte Inspektor Rhonda gedämpft. „Kommen Sie bitte!“
    Sie zwängten sich in den engen Gang, der an der Rückfront der Austern Bar hinführte. Links lief das eiserne Gitter entlang, das einen häßlichen und trostlosen Eindruck machte. Unmittelbar dahinter blinkte das ölig schimmernde Wasser. Nach zehn Schritten war ihr Weg zu Ende. Sie trafen auf die Beamten der Mordkommission, die fröstelnd und schweigsam ein zugedecktes Bündel umstanden. Erst als sie den Kommissar erblickten, kam Bewegung in die kleine Gruppe.
    „Na endlich, Sir“, brummte der Polizeiarzt erleichtert. „Wir können die Gasse nicht länger absperren. Die Tote muß ins Leichenhaus geschafft werden. Irgend jemand wird sie ja schließlich kennen.“
    Ein Konstabler beugte sich zum Boden nieder und entfernte die Hülle. Dann trat er schweigsam zurück. Jetzt war die Reihe an Kommissar Morry, sein fachmännisches Urteil abzugeben. Er spürte förmlich, wie sie alle auf seine Erklärung warteten. Sie sagten kein Wort. Sie wollten seine Meinung hören. Die Blicke des Kommissars glitten zaudernd über die Tote hin. Naß und verklebt hingen die Haare in ein rührend junges Gesicht. Das wächserne Antlitz zeigte auch jetzt noch deutlich, wie hübsch und anmutig es zu Lebzeiten gewesen war. Die starren Finger hielten eine Handtasche umkrampft, als sei sie ein kostbarer Besitz, von dem sich das Mädchen auch im Tod nicht habe trennen wollen. Der durchnäßte Mantel und die übrige Kleidung waren schlicht, aber sehr gediegen. Aus ärmlichen Kreisen stammte das Mädchen sicher nicht.
    „Haben Sie die Tasche schon untersucht?“ fragte Morry zerstreut.
    „No, Sir“, wurde ihm geantwortet. „Wir wollten auf Sie warten.“
    Kommissar Morry beugte sich nieder und schob den nassen Schal zur Seite. Die Seide war brüchig und zerrissen. Sie war vorne zu einem Knoten verschlungen. Deutlich zeichnete sich am Hals eine bläuliche Linie ab.
    „Es sind Würgemerkmale“, murmelte der Polizeiarzt. „Ich täusche mich nicht, Sir. Es wäre höchstens möglich, daß das Mädchen im Todeskampf unter Wasser selbst an dem Schal zerrte. Was halten Sie davon?“
    Kommissar Morry gab keine Antwort. Er war im Moment viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt. Auch kostete es ihn alle Mühe, die schmale Handtasche aus den
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