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Komm wieder zurück: Roman

Komm wieder zurück: Roman

Titel: Komm wieder zurück: Roman
Autoren: Deborah Reed
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gemacht wäre, wie eine Decke, eine Serviette, ein Seidenhandschuh, der seinen Fingern entgleitet.
    An Tagen, an denen er sowohl die roten als auch die weißen Pillen einnimmt, kann er sich an manche Dinge nur schwer erinnern. Manchmal fühlt sich seine Brust wie ein heißer Lichtstrahl an.
    Doch jetzt sieht er den anderen Mann, den er mal als Jungen gekannt hat, in voller Lebensgröße. Er fuhr auf den Parkplatz wie von einem Magneten angezogen. Wahrscheinlich traf er sich mit seinem rothaarigen Bruder drinnen, dem Mann in der Nische, dem er so ähnelte. Der hier war der Richtige, Annies Jugendfreund, derihn damals nach Hause gefahren hatte, in der Nacht, in der er sich betrank und ein letztes Mal Miriam umzustimmen versuchte. Und Jahre später trat er aus den Schatten hervor, ein erwachsener Mann, aber doch immer noch leicht zu erkennen, weil ein Funken jenes Jungen immer noch in ihm steckte. »Mr Walsh!«, rief er und durchdrang den Nebel in Onkel Calders Kopf.
    »Gott! Was haben Sie
getan
?«, fragte der Junge, der jetzt ein Mann war.
    Was war geschehen? Was hatte er gesehen?
    Onkel Calder hat keine Ahnung. Er glaubt nur zu wissen, dass der Pinckney-Junge den Rollator vom Kopf des Dänen gehoben hat. Es gab ein nasses, saugendes Geräusch, und der Junge drehte sich um und hätte sich beinahe gegen den Arm erbrochen, den er sich vor den Mund gehalten hatte. Das Messer lag am Boden. Das Licht der Toilette spiegelte sich darin, bevor es wieder erlosch. Der Junge packte Onkel Calder am Ellenbogen und führte ihn mitsamt dem Rollator zu seinem Wagen. »Sind Sie betrunken? Können Sie allein nach Hause fahren?«, fragte er, und es war wie ein Traum, wie sich alles zugetragen hatte.
    »Er hätte sonst meinen Jungen getötet«, sagte Onkel Calder. »Verstehst du? Ohne mich würden die beiden nie zusammenkommen.«
    »Wer denn?«, fragte der Junge.
    Doch dann war er zu Hause und zog an der Kordel unter dem Deckenventilator. Wie schaltete man den an? Und wie wieder aus?

EINUNDDREISSIG
    Heiligabend, und das Haldol entfaltet seine Wirkung wie ein warmes Gel unter Calders Haut. Er hat einen dicken Kopf und einen trockenen Mund, ist unkonzentriert, doch sein Körper verhält sich endlich ruhig, was unter diesen Umständen wie ein Wunder erscheint.
    Es ist jetzt nur noch eine Frage der Zeit. Schon morgen könnte er hier hinausspazieren. Es ist möglich. Alles ist möglich. Was auf die eine Art beginnt, endet auf eine andere, und wer wüsste das besser als Joshua Pinckney?
    »Sag mir nur, ob es ein Mann war«, beharrte Calder gestern.
    Endlich nickte Joshua.
    Calder wandte sich ab und weinte fast vor Erleichterung. Er dachte an die verschiedenen Weißtöne in Sidsels Haar, ihre Fingernägel glatt wie Milchglas, die vollen Lippen immer kussbereit. »Schön«, sagte er. »Was sind denn seine Initialen?«
    Joshua schüttelte den Kopf. »Das möchte ich lieber nicht sagen.«
    »Warum nicht?«
    »Darum nicht. Vertrau mir. Ein anderer hat genau dieselben.«
    »Wer denn?«
    »Egal. Das findest du noch früh genug heraus.«
    »Ich muss das jetzt wissen, Joshua«, sagte Calder und unterdrückte den Impuls zu zwinkern. »Sieh mich an. Ich. Muss. Das. Wissen.
Sofort

    Joshua rieb sich das Gesicht und rang mit sich. Er holte tief Luft. »Weißt du noch, wie Annie und ich mal im Frühling in der Disney World waren?«
    Calders Augen verengen sich. »Nein.«
    »Du erinnerst dich doch?«
    »Nein.
    »Doch, bestimmt. Wir sind nach Hause gekommen, und jemand war bei euch. Jemand, der normalerweise keinen Zutritt hat. Er wollte deine Mutter besuchen, und ich musste ihn nach Hause fahren.«
    Calder lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er hatte begriffen.
    »Was redest du da? Das ergibt doch gar keinen Sinn.«
    »Ich erspare dir die Einzelheiten, Calder. Ich bin unmittelbar, nachdem es geschehen war, dazugestoßen. Er schien nicht ganz bei sich zu sein, falls das eine Rolle spielt.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    Anscheinend quälte die Erinnerung Joshua. Er wich Calders Blick aus, als er sprach. »Er sagte: ›Er hätte sonst meinen Jungen getötet. Ohne mich würden die beiden nie zusammenkommen.‹«
    Calder ließ das Telefon in seinen Schoß fallen. Irgendwann hielt er es noch einmal an sein Ohr und sagte Tschüss. Irgendwann legte er auf und ging in Begleitung eines Wärters in seine Zelle zurück, wie das hier immer so ablief. Sicher weiß er nur, dass er die ganze Nacht ungläubig zugesehen hat, wie vor dem Eisengitter seines Fensters
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