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Kohl des Zorns

Kohl des Zorns

Titel: Kohl des Zorns
Autoren: Robert Rankin
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Ridley-Scotterie stets nur so gut wie das Bier, das dort ausgeschenkt wird. Und hier soll in aller Wahrhaftigkeit gesagt werden, daß die Biere in der Schankanlage des Fliegenden Schwans derart köstlich mundeten und so ausgezeichnet in Würze und Aroma waren, daß die Leser meinetwegen in ungläubiges Köpfeschütteln und zweifelndes Murmeln verfallen können.
    Und obwohl die acht Biersorten im Anstich von einer Qualität waren, daß selbst gestandene Trinker in Lobreden verfallen konnten, drehten sich deren Unterhaltungen am Tresen meist nur um ein Thema, nämlich wieviel besser das Bier in den guten alten Zeiten geschmeckt hatte.
    Und wer war der Erste, der Gleiche unter Gleichen, dieser Guru des guten Biers? Der Bierpumpenvirtuose dieses Trinkerwalhallas?
    Ein hauspantinenbewehrter Fuß schlappt auf eine Treppenstufe. Der Saum einer abgetragenen Schlafanzugjacke streift über die glänzende Mahagonitischplatte eines Britannia-Pubtisches. Ein hagerer Schatten fällt auf die Reihe glitzernder Pumpengriffe, und ein schmaler, von Staubfuseln diamantfleckiger Sonnenstrahl funkelt auf einem brylgecremten Skalp. Eine schlanke, fast mädchenhafte Hand schleicht in Richtung Whiskymaß.
    Sicher kennen wir diese monogrammverzierten Pantinen, den verblaßten Morgenmantel, das ehrfürchtig gebeugte, pomadenglänzende Haupt, dessen Besitzer sich mit schlanker, doch sicherer Hand einen ersten Kurzen einschenkt?
    Ja. Kein Zweifel scheint möglich, ein Irrtum ist ausgeschlossen. Es ist niemand anderes als Neville der Vollzeit-Teilzeitbarmann.
    Neville gähnte, hustete, kratzte sich am Bauch und schenkte sich eine gute Portion flüssigen Frühstücks in einen polierten Tumbler. Er straffte die runden Hängeschultern und streckte die Hühnerbrust hervor, dann kippte er die ›goldene Portion‹ mit einer geübten Bewegung der Hand hinter die nicht umgebundene Binde, während er sich darauf vorbereitete, dem Tag ins Angesicht zu blicken.
    Noch immer ge-ähnend, ha-ustend und seinen Bauch ka-ratzend, doch inzwischen innerlich gefestigt, machte er sich auf den Weg zur Tür und suchte nach seiner Ausgabe des wöchentlichen Nachrichtenblatts. Und da er Normans Zeitungsboten schon lange kannte, verschwendete er keine Zeit mit der Fußmatte. Letzte Woche hatte sich das verirrte Käseblatt in einem Geranienkübel gefunden, die Woche davor in einer Abfalltonne. Neville verspürte deswegen keine Feindseligkeit gegenüber dem jungen Zorro, sondern viel eher tiefe Sympathie, die ihren Ursprung im gegenwärtigen Hobby des Teilzeitbarmanns fand: der Psychoanalyse.
    Jeder erfolgreiche Barmann ist ein geborener Psychologe, und in letzter Zeit hatte Neville gespürt, wie seine natürliche Begabung ihn tiefer und tiefer in die Folterlabyrinthe der menschlichen Seele zog. Und was er dort vorgefunden hatte, amüsierte ihn nicht wenig.
    Der junge Zorro war ein Paradebeispiel. Die zusammengerollte Zeitung und der offenstehende Briefkasten waren ganz offensichtlich sexuelle Symbole. Zorrolitt wahrscheinlich an einer Fixierung auf den Vater oder an der unbewußten Sehnsucht, in den Mutterleib zurückzukehren. Neville vermutete, daß die Ursache dafür bei Zorros Mutter lag. Vielleicht war sie ein Opfer des berüchtigten Exhibitionisten gewesen, der Brentford in den Fünfzigern unsicher gemacht hatte. Der Tick des Burschen hatte darin bestanden, bei einsamen Hausfrauen zu klingeln und seinen Willy durch den Briefkastenschlitz zu stecken.
    Umgekehrt war es natürlich auch möglich, daß Zorros Mutter im Augenblick ihrer Empfängnis von einem Postboten zu Tode erschreckt worden war.
    Alles schien denkbar. Im Schlafzimmer des Hauses Noahs Ark Lane Nummer neun 3 drehte sich Zorro in seinem gemütlichen Bett auf die andere Seite und schlief weiter.
    Er hatte nicht die leiseste Ahnung von seiner mutmaßlichen pathologischen Neigung zur Unordnung. Für ihn war es weitaus einfacher, Nevilles Zeitung in die allgemeine Richtung der Tür zu werfen, während er am Fliegenden Schwan vorbeiradelte, als abzusteigen und sich der Anstrengung zu unterziehen, das zusammengerollte Bündel durch den viel zu kleinen, wenngleich auf Hochglanz polierten Briefkastenschlitz zu zwängen.
    Neville schob die Messingbolzen der berühmten Tür nach hinten und öffnete dem heraufziehenden neuen Tag. Während er eingerahmt in dem wunderbaren Durchgang stand, die Morgenluft in großen Zügen durch die bebenden Nüstern sog und praktizierte, was er als extra-nasale Perzeption zu bezeichnen
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