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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel
Autoren: Greg Bear
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will dich nicht sehen, Mary. Ich will nicht dran erinnert werden.«
    »Du spichst in Rätseln, Theo. Was ist passiert?«
    »Ich hab’s nicht geschafft. Das ist alles, und das reicht doch, oder?«
    »Theo, ich hab einen harten Tag hinter mir. Dieser große Mordfall. Acht Tote. Ich bin deshalb schon ein bißchen langsam von Begriff, und ich muß gleich wieder zum Dienst.«
    »Tut mir leid, wenn ich dir jetzt damit komme, aber du hast mir gegenüber einen Vorteil, und ich will nicht mit dir konkurrieren, Mary.«
    »Was für einen Vorteil denn?«
    »Du bist eine Transformierte. Du bist exotisch und geschützt. Das PD würde sich nie trauen, dir zu sagen, du sollst wieder in Therapie gehen, weil du sonst bei der Zeitarbeitsagentur ein Riesengeschrei veranstaltest, und dann kommt das Bundesamt und untersucht den Fall. Die können dir nichts anhaben.«
    »Das ist doch Unsinn, Theo.« Mary spürte, wie sich die Röte auf ihrem Gesicht ausbreitete; von außen war nichts zu sehen, aber sie konnte es fühlen.
    »Da bin ich anderer Meinung, Mary, und im Moment hab ich größte Lust, einfach aufzulegen.«
    »Ich kann dich verstehen, Theo, aber gib nicht mir die Schuld. Wir waren zusammen auf der Akademie. Du bedeutest mir viel. Was solltest du denn…«
    »Das brauch ich dir nicht zu sagen! Du bist ein verflunztes Alien, Mary. Ich hab dich nicht auf dem Bildschirm, weil ich dich nicht sehen will. Ich will nicht mal mit dir reden. Du hast es mir unmöglich gemacht, meine Beförderung zu kriegen. Genieß den Höhepunkt deiner Laufbahn, Schatz.« Ein Glockenton verkündete, daß die Verbindung abgebrochen war.
    Mary stand stumm vor dem grauen Tischchen mit dem Vidfon und hielt sich an dessen Kante fest. Sie schaute auf ihre glatten schwarzen Finger hinunter, streckte sie, beugte sie wieder und zog sie dann zurück. Theodoras Anspannung war schon vor Monaten deutlich zu spüren gewesen; trotzdem hatte Mary nicht mit so etwas gerechnet. Ein Teil von ihr sagte Es liegt auf der Hand, warum das Department sie wieder in Therapie geschickt hat, und ein anderer Teil parierte mit einem tiefer liegenden Warum.
    Um einer derartigen Frage auszuweichen, ging sie durchs Wohnzimmer und schaltete das LitVid ein. Die Netze waren voll von den AXIS-Botschaften, die endlich empfangen wurden, nachdem sie den Raum zwischen den Sternen durchquert hatten; Mary stand vor scharf umrissenen Simulationen der Sonde, die in den Orbit um ihre Zielwelt ging. Sie schaute hin, ohne zuzuhören, und sah kaum etwas; widerstreitende Botschaften durchquerten langsam den Raum in ihrem eigenen Inneren.
    Warum hatte sie sich überhaupt einer Transformation unterzogen und sich dabei ein so exotisches Äußeres ausgesucht? Um daraus einen Vorteil zu ziehen, oder um ihr eigentliches Wesen mit einer äußeren Erscheinung zur Deckung zu bringen, die sie nie befriedigt hatte?
    Marys Eltern ihr Bruder und ihre Schwester Mutter und Vater hatten die transformierte rotweiße Katze akzeptiert, die später transformierte Tochter aber nicht. Sie hatte seit vier Jahren von keinem von ihnen mehr etwas gehört.
    Und jetzt Theodora, die sie früher einmal vielleicht als ihre beste Freundin bezeichnet hätte – in einem Leben, in dem es nur wenige solche Freundschaften gegeben hatte.
    Sie kehrte zur Kommode zurück, machte sie auf und holte einen Briefumschlag mit einer einzigen handtellergroßen Diskette darin heraus. Nur wenn sie in eine besonders unangenehme Lage geraten und auf der Suche nach dem richtigen Blickwinkel war, sah sie sich ihre Andenken an. Sie steckte die Diskette in ihre Tafel und rief Bild Nummer viertausendeinundzwanzig auf. In Farbe, aber nicht in 3-D: das Standbild einer zwanzig Jahre alten Frau Größe eins fünfundsechzig blasse Haut rundes Gesicht mit einem freundlichen aus dieser Distanz ergeben wirkenden Lächeln. Die junge Frau trug ein grünblaues Flickenkostüm der mittleren Dreißiger Jahre, das den Blick auf eine Seite des Bauchs die linke Schulter und den größten Teil des rechten Beins freigab: eine außerordentlich unattraktive Mode. Hinter der jungen Frau ein weißes Holzhaus in Culver City, jetzt Zinken Fünf des Schattens. Zu ihren Füßen ein zusammengekauerter Faulpelz, zwei Kilo leichter als heute. Die ursprüngliche Mary Choy im Alter von zwanzig Jahren. Ehrgeizig, aber ruhig; intelligent, aber zurückhaltend. Unauffällig auf ihrem wissenschaftlichen Fachgebiet – der Forensik – tätig, mit dem Ziel, genug Zeitarbeitskredit aufzuhäufen, um
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