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König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
Autoren: Mark Lawrence
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Ich fühlte den Refrain und sah, wie die Hand meiner Mutter die Tasten für die hohen Töne fand, die schwarzen, jene Tasten, die meiner Brust einen sonderbaren Schmerz gaben, wie die Schreie von Möwen über einem aufgewühlten Meer. Viele Jahre hatte ich nur gesehen, wie sich ihre Hände bewegten, ohne einen Ton, und jetzt hörte ich sie endlich, jetzt hörte ich ihre Musik.
    Den Hang hinab gingen wir, den vielen Soldatenreihen des fürstlichen Heeres entgegen. Noch immer erklang die Musik, eine tiefe, langsame Melodie, mit hohem, gebrochenem Kontrapunkt. Es war, als verwandelten sich die Berge in eine Partitur: Die Pracht verborgener Höhlen und einsamer Gipfel schien in die zeitlose Erhabenheit des Ozeans gehüllt zu sein und verwandelte sich in eine Musik, die das Leben aller Menschen enthielt, gespielt von den Fingern einer Frau, ohne Pause, ohne Gnade. Die Melodie erreichte uns, hallte in unserem Innern wider und legte alles frei, machte uns nackt.
    Dort war sie, die ebene, flache Stelle, der Ridgen-Fels. Die Musik wurde langsamer, die einzelnen Töne waren wie verstreut, mit dem Kontrapunkt in der höchsten Oktave. Traurige Töne, leiser und wie zögernd. Ich sah zu Makin und erinnerte mich an den ersten Tag, als er mir ein Holzschwert gegeben hatte. All die ernsten Jungen, bereit dazu, sein Spiel zu lernen. Ich hatte ihnen gezeigt, dass es kein Spiel war, dass es immer darum geht, zu gewinnen, aber ich glaube, sie haben es selbst damals nicht verstanden, selbst als die besten von ihnen keuchend am Boden lagen.
    Eine große Blide brannte in der Nähe. Sie musste näher bei den Mauern Feuer gefangen haben und dann hierher gezogen
worden sein, bevor klar geworden war, dass sie nicht gerettet werden konnte. Ich fragte mich, ob der Stein, der das Fenster meines Schlafzimmers zertrümmert hatte, vielleicht von ihr stammte. Die Flammen beobachteten mich. Sie beugten sich mir entgegen.
    Der Fürst von Pfeil wartete. Noch immer umschlangen die Drachen seine Namensvettern im bunten Glanz der teutonischen Rüstung. Die fünf Ritter, die er mitgebracht hatte, standen in der vereinbarten Entfernung, und ich ließ meine Sekundanten ebenfalls hinter mir zurück. Sie bildeten eine seltsame Reihe, mit dem in der Mitte aufragenden Rike, der wie fleischgewordenes Unheil aussah, mit Makin und Robert zu beiden Seiten. Der alte Gomst stand rechts und trug alle heiligen Dinge, die er besaß, in der Hoffnung, dass sie Pfeile von ihm fernhielten. Der alte Keppen hatte links Aufstellung bezogen, mit verdrießlicher Miene, als hielte er dies alles für dumme Zeitverschwendung.
    Ich ging zum Fürsten.
    »Öffne deine Burg für mich, und wir können dies beenden.« Orrins Stimme klang gedämpft unter dem Helm hervor. Seine dunklen Augen musterten mich.
    »Eigentlich willst du das gar nicht«, sagte ich. »So ist es besser.« Ich drehte meine Klinge, damit sie das Licht einfing. »Hör auf, zu versuchen, dein Bruder zu sein. Für ihn hätte ich die Tore geöffnet. Vielleicht.«
    Der Fürst hob das Visier. Er richtete einen grimmigen Blick auf mich und fügte ihm ein freudloses Lächeln hinzu, nahm dann den Helm ab und strich sich übers dichte schwarze Haar.
    »Hallo, Egan«, sagte ich.
    »Als Abschaum von der Straße hast du mir besser gefallen«, erwiderte er.
    Rauch von der brennenden Belagerungsmaschine strich über uns hinweg. Ich hörte Rike husten.
    »Mir gefällt deine Rüstung«, sagte ich. »Vielleicht nehme ich sie für mich, wenn man sie von deiner Leiche löst.«
    Egan zog die dunklen Brauen zusammen. »Du bist rechtshändig. Was ist dies für ein Unsinn?«
    Ich legte die linke Hand auf den Schwertgriff. »Oft kämpfe ich mit der rechten Hand. Ich hoffe, du hast meine Fähigkeiten nicht aufgrund der Berichte von Spionen eingeschätzt, die mich dabei beobachtet haben. Mit der linken Hand bin ich viel besser.«
    Egan verlagerte sein Gewicht. »Gegen Orrin hast du mit der rechten Hand gekämpft …«
    »Stimmt«, sagte ich. »Es tat mir leid, zu hören, dass du Orrin getötet hast. Er war ein besserer Mann als wir beide. Vielleicht der beste Mann unserer Generation.«
    »Er war ein Narr«, sagte Egan und setzte den Helm wieder auf.
    »Vielleicht ging er zu großzügig mit seinem Vertrauen um. Wie ich hörte, hast du ihm eine Klinge in den Rücken gestoßen und dann zugesehen, wie er verblutete.«
    Egan zuckte die Schultern. »Er hätte nie gegen mich gekämpft. Er hätte geredet. Und geredet. Und geredet.« Er sprach so, als
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