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König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

König der Dunkelheit: Roman (German Edition)

Titel: König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
Autoren: Mark Lawrence
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als ich stöhnend in Heimrift gelegen hatte. Ich sah Grumlow bei der Tür und winkte ihn näher. »Zeig den Sterbenden ein wenig Gnade, Grumlow«, sagte ich. Er nickte und ging los.
    Grumlows schnelle, scharfe Gnade wäre mir in Heimrift lieber gewesen als ein langsamer Gang ins Jenseits, begleitet von Pater Gomst Moralpredigten.
    Wir gingen durch die Gasse zwischen den Toten. Die Leichen hatte man beiseite geschafft, nicht aber das Fett von verbranntem Fleisch, oder die Hautfetzen und rußigen Umrisse von Menschen. Niemand sprach; selbst Rike zeigte grimmigen Ernst. Es erschien mir angemessen genug. Mein Onkel, der Graf von Renar, war ein Verbrenner gewesen. Mit Feuer hatte er Angst und Schrecken verbreitet. Ich war mit Gog an meiner
Seite gekommen, um seinen Platz einzunehmen, ich hatte den Hof seiner Burg mit verbrannten Toten gefüllt. Der Fürst von Pfeil hatte recht, wenn er die Ankraths als dunkelsten Zweig am Verwalter-Baum bezeichnete. Ich hatte mich lange gefragt, ob ich gegen Orrin von Pfeil antreten würde, wenn er schließlich kam. Er war vielleicht die prächtigste Frucht an den Zweigen der Kaiser-Linie. In den vier Jahren meiner Herrschaft übers Hochland hatte ich mir das Reich angesehen und war schließlich zurückgekehrt, um Kusin Jarcos Aufstand im Westen niederzuschlagen. Anschließend hatte ich gegen weniger greifbare Feinde gekämpft, gegen Krankheiten bei meinem Volk und in der Wirtschaft. In der gleichen Zeit hatte der Fürst von Pfeil seine Macht ausgebaut und fünf Throne übernommen. Vielleicht war es nur das Flüstern der Klugen und Weisen, ihr Rat, ihm den Thron des Reiches zu überlassen, der mich daran denken ließ, ihn bei seinem Weg zum Goldenen Tor aufzuhalten. Ich lasse mir nicht gern etwas sagen.
    Jetzt aber, mit dem Kupferkästchen geöffnet und allen Erinnerungen und Sünden zurückgekehrt, hatte ich das Gefühl, dass mehr wiederhergestellt war. Bisher schien ich ein Schatten meiner selbst gewesen zu sein, fast ich, ohne ein wichtiges Stück, das mir gestohlen war, so fest mit meinen Verbrechen verbunden, dass Luntar es ebenfalls in das Kästchen mit den Erinnerungen gelegt hatte. Vielleicht lebte ich nicht lange genug, um den Sonnenuntergang dieses blutigen Tages zu sehen, aber wenn ich am Leben blieb … Es sollten nicht noch einmal vier Jahre vergehen, ohne dass ich meinen Zielen näher kam.
    Wir gingen durch die Überbleibsel der kleinen Stadt; brennende Teile der Außenmauern meiner Spukburg hatten dort alles zerstört, was ihnen in den Weg geraten war. Jerrings Ställe,
wo sich Makin in Dung gerollt hatte, um für die Straße bereit zu sein, existierten nicht mehr.
    Ich konnte dies noch immer beenden. Der Fürst würde einen Friedensvorschlag annehmen – es würde ihn einen wichtigen Schritt weiterbringen. Und wer sagte, dass er kein besserer Kaiser sein würde als ich? Mit seinen schlimmsten Verbrechen konnte ich es jederzeit aufnehmen, sie sogar leicht übertreffen.
    In der Klarheit hoher Gipfel hatte ich oft daran gedacht, den Weg für Orrin von Pfeil freizugeben. Aber die Dinge ändern sich. Ein anderer Jorg ging zu dem Ort, an dem das Duell stattfinden sollte, und dort würde er einem anderen Fürsten von Pfeil gegenübertreten. Dieser Hochzeitstag hatte Jorg von Ankrath neu geformt, nach einem alten Muster. Der alte Durst brannte in mir. Blut würde fließen.
    Musik erklang um mich herum, leise zunächst. Ein Stück, das meine Mutter auf dem Klavier gespielt hatte. Ein seltenes und komplexes Instrument, bestehend aus Drähten, Tasten und Hämmern. Und so alt das Klavier auch sein mochte, die Klänge, die meine Mutter ihm entlockte, waren klar und hell, rein wie die Sterne im Schwarz der Nacht, und sie bildeten eine wundervolle Melodie. Manchmal kann ein einzelner Ton rein wie Eis dazu führen, dass man den Atem anhält, und ein zweiter, etwas anderer, nach ihm ins Leere geworfen, kann einem kalten Schauer über den Rücken jagen. Die Bewegung einer Hand über schwarzen und weißen Tasten kann den Zuhörer forttragen, ihm das Gefühl geben, erneuert zu sein, oder ihn die Last der Jahre spüren lassen, eine Bürde, die so schwer ist, dass er zu atmen vergisst.
    Wir wanderten vorbei an zerschmettertem Gestein und verbrannten Balken. Die Melodie pulsierte hinter dem Knistern von Flammen, und vor dem inneren Auge sah ich die linke
Hand meiner Mutter, zuständig für die tiefsten Töne. Auf der einen Seite ragte Rike über mich auf, und mein Onkel ging auf der anderen.
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