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Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Titel: Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde
Autoren: Martin Wehrle
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tatsächliches Ich spaziert nicht durch Bro schüren, sondern kauert in der Schlange vor der Kasse. Es ernährt sich nicht von Manager-Versprechungen, sondern wird mit falschem Schinken und Mogelpackungen abgespeist. Und es atmet nicht frische Homepage-Sprüche, sondern kämpft mit 50 Grad im ICE, nachdem die Klimaanlage im Sommer wieder einmal den Geist aufgegeben hat.
    Dieselben Firmen, die den allgemeinen Kunden erforschen, wollen nichts von ihm wissen, wenn er als Einzelexemplar im Laden auftaucht und dumme Fragen stellt – zum Beispiel um Beratung bittet. Oder gar reklamiert! Zum König erklärt, als Bettler behandelt: Heuchelei ohne Grenzen.
    Immer mehr Unternehmen kegeln ihre Servicemitarbeiter vor die Tür, während sie behaupten: » Wir tun alles für unseren Service!« Stimmt nur fast. Derjenige, der das sinkende Serviceschiff über Wasser halten soll, hat niemals Feierabend, beansprucht keinen Arbeitsplatz und kassiert auch kein Gehalt – denn das bin ich, der Kunde selbst!
    Mit welcher Strategie man es schafft, erst Servicelecks zu schlagen und sie dann vom Kunden stopfen zu lassen, hat Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn vorgemacht: 2008 kündigte er an, für den Kauf von Tickets am Schalter werde künftig eine Gebühr von 2,50 Euro pro Strecke berechnet – was von einer Protestwelle knapp verhindert wurde, im Gegensatz zum massiven Schalterabbau. 3
    Mit solchen Manövern wollen die Firmen zweierlei erreichen. Erstens zwingen sie mich zu einer Selbstbedienung, die nicht auf freiem Willen beruht, sondern nur Notwehr ist – denn anders kann ich nicht an die gewünschte Dienstleistung kommen. Zweitens wird der Service durch Mitarbeiter von der Normal- zur Sonderleistung erklärt. Damit wird er zum kostenpflichtigen Extra. Und weil sich nur wenige Kunden diese »Sonderleistung« leisten können, werden auch immer weniger Servicemitarbeiter benötigt. Die Firmen können reihenweise Mitarbeiter streichen. Der Kunde erledigt dieselbe Dienstleistung. Zum Nulltarif.
    Aber wie wird dieser Service-Kahlschlag dem Verbraucher verkauft? Die PR der Firmen schenkt keinen reinen Wein ein, sondern eine mit Aromastoffen versetzte Werbebrause. Deren trügerisches Prickeln soll uns suggerieren, wir hätten es nicht mit Serviceabbau, sondern mit einer Kundenbefreiung zu tun, nach dem Motto: Du, Kunde, wirst immer freier, immer unabhängiger! Du bist dein eigener Herr, nicht mehr angewiesen auf fremde Hilfe. Was kompliziert und langwierig war, wird einfach und kurzweilig – wenn du es selbst in die Hand nimmst.
    Das ist so glaubwürdig, als würde man den Passagieren eines abstürzenden Flugzeugs das Anlegen der Schwimmwesten als überfällige Emanzipation von den gerade ausgefallenen Triebwerken verkaufen.
    Die Realität enttarnt dieses Wortgeklingel. Dem Kunden dämmert spätestens, wenn er sich beim Kauf seiner Fahrkarte im Irrgarten der Automaten-Software verlaufen hat, während sein Zug ein- und wieder abfährt: Ich stehe hier auf einem Service-Abstellgleis! Dieser Automat lässt mich mit meinen Problemen allein. Er ist so kalt wie die gefühlte Servicetemperatur im Land. Und so kompliziert, dass ihn kein Mensch bedienen kann! Dieser Automat hilft einer alten Frau nicht auf die Beine, wenn sie einen Meter vor ihm stürzt. Dieser Automat sieht tatenlos zu, wenn ein Kleinkind aufs Gleis spaziert, während ein ICE anrollt. Dieser Automat ist nicht einmal in der Lage, die Notruf-Nummer zu wählen, wenn ihm gegenüber ein Bahnkunde überfallen und mit Tritten traktiert wird.
    Alle Selbstbedienungswege, die uns als »moderner Service« angepriesen werden, sind in Wirklichkeit das Gegenteil: die Abschaffung von Service. Wo menschliches Personal abgebaut wird, muss – da Maschinen nicht denken können – ein anderer Mensch die Hauptarbeit übernehmen: der Kunde.
    All das bin ich leid! Ich habe keine Lust, im Szenelokal meinen eigenen Kellner zu spielen, mein volles Rotweinglas, meine heiße Suppenschüssel und einen krümelnden Brotkorb von der Theke bis zu meinem Platz zu balancieren, nur weil der Wirt sich die Bedienung sparen und seiner Gewinnmaximierung auch noch einen hippen Anstrich geben will.
    Ich kann keine Freiheit darin erkennen, dass ich meine Pakete nicht mehr einem kompetenten Postmitarbeiter in die Hand drücken kann, sondern mich als Posthilfsarbeiter an einer Packstation mit den Tücken der Technik und der Frankierung herumquälen muss.
    Ich sehe es nicht als Fortschritt an, dass meine Bank ihre Dienstleistungen
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