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Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Titel: Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde
Autoren: Martin Wehrle
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mich auf Abstand: »Personalbereich – Betreten verboten«.
    Da geschieht ein kleines Wunder: Die Tür fliegt auf, und ein mehr als mannshoch vollgepackter Sortierwagen rattert direkt auf mich zu. »Zur Seite, bitte!«, schnauzt es hinter dem Wagen hervor. Ich könnte sie küssen: eine Verkäuferin!
    Ich bleibe im Weg stehen: »Entschuldigung, wo finde ich das Backpulver?«
    »Normales Backpulver?«, ruft es hinter dem Wagen hervor.
    »Genau solches!«
    »Dort, wo es immer ist«, krächzt es, als wollte sie meine Blödheit unterstreichen. »Ganz einfach: den Gang runter, dann rechts, dann wieder links, dann ein paar Schritte – und dann auf der rechten Seite unten.«
    Wie viele solche Wegbeschreibungen habe ich schon in Supermärkten gehört! Sie wirken auf meinen Orientierungssinn wie der Orkan aufs Ziegeldach. Der schwere Wagen der Verkäuferin rollt wieder an. Ich rette mich durch einen Sprung zur Seite.
    Ich folge dem Weg (wie ich meine), komme jedoch nur vor dem Putzmittelregal an. Vielleicht ist das Scheuermittel ein Backpulver, aus dem man Kekse für unfreundliche Verkäuferinnen backen kann? Hätte sie mich nicht rasch zum Backpulver begleiten können? Ist das Einsortieren der Waren wichtiger als das Beraten eines Kunden?
    Oder tue ich der Verkäuferin unrecht? Sollte ich meine Giftkekse besser den Inhabern der Supermarktkette spendieren? Ihnen, die in jeder Milliardärsliste weit vorne liegen, aber aus Geldgier nur so wenige Verkäufer einstellen, dass der Kunde sie mit dem Fernglas suchen muss.
    Immer noch fehlt mir das Backpulver. Ich spreche eine Rentnerin an. Die alte Dame strahlt: »Backpulver? Kein Problem, folgen Sie mir.« Mit einem Lächeln führt sie mich ans Ziel. Ach, wenn die Verkäuferin doch auch so freundlich gewesen wäre!
    Der Supermarkt verabschiedet mich mit einem Stau. Zehn Minuten dauert es, ehe ich bezahlen kann. Auf dem Weg zur Kasse stopfe ich noch eine Tafel Schokolade und eine Packung Kaugummi in meinen Wagen. Solche Produkte in der engen Einflugschneise zur Kasse werden im Verkäuferdeutsch als »Impulsprodukte« bezeichnet. Der Kunde greift sie beim Warten, weil er sich nicht beherrschen kann. Staus vor der Kasse haben auch Vorteile. Für den Supermarkt.
    Ein Gehirn auf der Obstwaage
    Nicht nur Erpresser fordern Lösegeld – auch Supermärkte tun es: Mein Einkaufswagen ist angekettet. Erst wenn ich einen Euro in seinen Schlitz stecke, löst sich der Wagen. Dieses Geld bekomme ich nur durch körperliche Arbeit zurück: Ich muss für den Supermarkt den Laufburschen spielen und den Wagen zurück an seinen Standort manövrieren. Früher wurde Personal für diese Aufgabe bezahlt. Heute wird es von mir erledigt. Gratis.
    Wieder einmal stehe ich vor der Wagenkette und krame in meinem Portemonnaie nach der passenden Münze. Vergeblich. Was tun? Neben der Kasse warten, bis sich eine Kassiererin meiner erbarmt? Das kann dauern. An der Backtheke wechseln lassen? Besser nicht, neulich hörte ich, wie die Bäckereifrau eine Kundin anzischte: »Wir sind hier keine Wechselstube!«
    Also kaufe ich mir an der Backtheke ein Brötchen, das ich auf dem Heimweg an die Enten verfüttern werde (denn ich habe schon gefrühstückt), zahle mit zwei Euro und hoffe auf eine Ein-Euro-Münze in meinem Wechselgeld.
    Weshalb verweigern mir die Discounter jenen Service, der für mein Schwimmbad selbstverständlich ist? Dort brauche ich eine Ein-Euro-Münze für mein Schließfach. Ein praktischer Wechselautomat spuckt das Kleingeld aus. Schätzt ein Schwimmbad, das 2,20 Euro Eintritt kostet, seine Kunden mehr als ein Supermarkt, der mit mir im Durchschnitt pro Einkauf das Zwanzigfache umsetzt?
    An der Obsttheke bekomme ich die nächste Lektion erteilt: Ich soll Obsthändler spielen, soll die ausgewählten Obst- und Gemüsesorten selbst abwiegen, in eine Tüte packen und mit einem Etikett bekleben. An der Kasse wird der Betrag dann nur noch einge scannt.
    Aber wo sind die Obsttüten? Besser versteckt als der Nibelungenschatz! Durch eine Feldstudie bekomme ich heraus: Die anderen Kunden besorgen sich ihre Tüte auf Schienbeinhöhe am Rand des Apfelangebots. Geschickterweise hängen die transparenten Tüten dort vor einem hellen Hintergrund.
    Hat etwa irgendein Marketingidiot herausgefunden, dass der Kunde umso mehr Obst kauft, je länger er um den Obststand kreist und eine Tüte sucht? Wenn ja, würde ich seinen Kopf liebend gerne mal für ein paar Minuten in eine solche Tüte stecken (aber mangels Hirngewicht
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