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Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde

Titel: Koenig Arsch - Mein Leben als Kunde
Autoren: Martin Wehrle
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Kasse spüle, keine schlechte Idee wäre. Vielmehr wird mit der Tüte ein erneutes Geschäft gemacht, indem sie mir teuer verkauft wird.
    Fast sämtliche Läden besitzen die Frechheit, mir für mein Geld keine neutrale Tüte auszuhändigen, sondern einen bunten Werbesack. Die Schriftzüge darauf sind so groß, dass man sie mit sechs Dioptrien über den Alexanderplatz hinweg lesen könnte; und die Firmenfarben stechen so grell ins Auge, dass ich mit einem Papagei auf der Schulter weniger auffiele.
    Wer mich mit dieser Tüte sieht, weiß genau, aus welchem Geschäft ich komme – und wird daran erinnert, was er dort selbst kaufen könnte. Genau so hat es sich der Betreiber des Geschäftes gedacht!
    Die Idee ist perfide: Ich, der Kunde, werde als Lastesel vor den Karren der Werbung gespannt. Man instrumentalisiert mich, als würde ich zum Inventar des werbenden Unternehmens gehören. Wer ein bestimmtes Kleidungsstück tragen oder an der Kasse eine Tüte kaufen will, hat kaum eine Wahl.
    Wenn ich nicht möchte, dass meine Nachbarn wissen, wo ich einkaufe – die Tüte verrät mich. Und wenn ich der Meinung bin, ein Label habe nichts auf meiner Brust verloren, sollte ich mir das vor dem Kauf überlegen. Als junger Mann griff ich einmal zur Nagelschere und wollte das Label meines neuen Pullovers, als wäre es ein Blinddarm, durch einen chirurgischen Eingriff entfernen. Ergebnis: Der Pullover hatte ein Loch. Mein Geldbeutel auch, denn ich musste mir einen neuen Pulli kaufen. Ohne Label!
    Der verschollene Verkäufer
    Meine Orientierung in Supermärkten ist so schlecht, dass ich eigentlich ein Navigationssystem bräuchte, um zur Kasse zu finden. Heute suche ich ein Produkt, das ich nie zuvor gekauft habe: Backpulver. Meine Freundin hat es mir in letzter Sekunde auf den Einkaufszettel gekritzelt.
    Es ist Freitag, 17 Uhr, die Gänge sind voll. Büromenschen flitzen mit überhöhter Geschwindigkeit herum, als wäre ihr Chef noch hinter ihnen her. Eine fröhliche Mutter schickt ihre Kinder als Suchgeschwader los, doch sie schleppen immer wieder das Falsche herbei (»Keine Ostereier – normale Eier, Nina!«) – und wuseln erneut los.
    Wo steckt bloß das Backpulver? Ich bewege mich zum Brotregal. Brötchen, Plunderstücke, abgepackter Käse-Apfel-Kuchen – aber kein Backpulver. Ich fahre Gänge rauf, ich fahre Gänge runter. Nirgendwo Backpulver. Jetzt brauche ich Hilfe! Mein Blick schweift durch die Gänge, an der Wursttheke entlang, über die Aktionsartikel hinweg – kein Verkaufspersonal in Sicht.
    Offenbar gehören Verkäufer zu den aussterbenden Gattungen. Nur zwei Kassiererinnen kann ich sehen; zwei weitere Kassen sind unbesetzt, obwohl der Einkaufswagen-Rückstau so lang ist, dass eigentlich eine Meldung im Verkehrsfunk kommen müsste. Wenn die übrigen Kassen jetzt nicht geöffnet sind, wann dann? Offenbar sind das Kassenattrappen, die Service vortäuschen, wo es keinen mehr gibt.
    Meine Backpulverjagd führt zu einem unerwünschten Ergebnis: Weil ich so viele Regale mit den Augen absuche, entdecke ich viele Produkte, die mir nie zuvor aufgefallen sind. Ein Senf mit Orangenaroma, eine neue Nudelsorte und ein viel zu teures Schnorchelset (Aktionsartikel) landen in meinem Einkaufswagen. Ist das der Sinn der Übung? Soll der Kunde das gesuchte Produkt gar nicht auf Anhieb finden, sondern auf dem Suchweg überflüssige Produkte kaufen?
    Der Charakter des Labyrinths gehört zum Geschäftsmodell. Die Supermarktgänge sind so angelegt, dass man nicht auf dem schnellsten Weg zur Kasse gelangt, auch wenn man nur eine Flasche Mineralwasser am Eingang greift. Die Kunden werden wie eine Viehherde über die komplette Einkaufweide getrieben, vorbei an endlosen Regalmetern.
    Ich kann laufen, so weit ich will – ich finde einfach keine Verkäuferin! In meiner Einkaufsnot wünsche ich mir eine Leuchtrakete. Dann könnte ich, wie der Schiffbrüchige auf dem Meer, mit einem Leuchtsignal Hilfe herbeilocken.
    Gar nicht nötig! Am Kühlregal entdecke ich einen jungen Wuschelkopf, der gerade Fischstäbchen einsortiert. »Entschuldigen Sie, wo finde ich das Backpulver?«
    »Keine Ahnung«, brummelt er, »ich helfe hier nur aus.«
    »Und wo finde ich die nächste Verkäuferin?«
    »Wahrscheinlich im Lager«. Er deutet zum Flaschenautomaten.
    Ich haste zu dem Automaten, er wird gerade von einer fröhlichen Mutter mit Plastikflaschen gefüttert. Aus seinem Schlund knirscht es bedrohlich. Die große Lagertüre ist verschlossen. Ein Schild hält
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