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Kölner Kulissen

Kölner Kulissen

Titel: Kölner Kulissen
Autoren: Sascha Pranschke
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geöffnet hat. Unten an der Haustür hat sie einfach die Klingeln der Wohnungen in den oberen Etagen betätigt und »Post!« gerufen, als jemand geöffnet hat.
    In Vincents Wohnung riecht es nach Putzmittel. Er muss ziemlich gründlich geputzt haben, wenn noch heute, drei Tage nach seinem Tod, der beißende Geruch in der Luft hängt. So hat es auch in der Nacht gerochen, die sie hier mit Vincent verbracht hat. Irgendwie hat sie dieser antiseptische Geruch abgestoßen. Und trotzdem ist sie geblieben und hat mit ihm geschlafen. Das kann sie noch immer nicht begreifen: Warum nur hat sie ihm gar nichts angemerkt? Er war wohl auch kein schlechter Schauspieler, muss sie zugeben.
    Sie will ins Wohnzimmer gehen, denn sie erinnert sich, dass dort sein Schreibtisch mit dem Computer steht. Anders als in der Geschichte, die sie Anselm erzählt hat, glaubt sie nicht, dass sie die Fotos in einem Karton im Bücherregal finden wird. Schließlich hat Vincent sie per E-Mail verschickt, also werden sie sich als Dateien auf seinem Rechner befinden. Als sie an der geöffneten Schlafzimmertür vorbeikommt, wirft sie einen Blick auf das Bett. Es sieht aus wie frisch bezogen, die Decke ist ordentlich gefaltet und glatt gestrichen, das Kissen aufgeschüttelt. Sie kann nicht fassen, dass sie mit Vincent darin gelegen hat. Wahrscheinlich hat er sich im Stillen über ihre Ahnungslosigkeit amüsiert, während er in sie eingedrungen ist. Vielleicht hat ihn erst das scharf gemacht. Vielleicht war allein das der Grund, ihr die Fotos zu schicken und ihr zu drohen.
    Paula wendet sich von der Schlafzimmertür ab und betritt den nächsten Raum. Dort steht sein Schreibtisch, darauf der zugeklappte Laptop. Wieder fällt Paula der an den Rand der Schreibtischplatte montierte Bleistiftanspitzer auf. So etwas hat sie wirklich noch bei niemand anderem gesehen. Und offensichtlich hat Vincent ihn ständig benutzt: Nicht einer der Bleistifte in dem Keramikbecher neben dem Drucker ist stumpf oder gar abgebrochen. Der Papierkorb unter dem Schreibtisch ist leer. Paula muss an ihre Großmutter denken, die unmittelbar vor ihrem Tod sämtliche Räume ihres großen Hauses aufs Gründlichste geputzt und aufgeräumt hat. Erst als sie alles in Ordnung gebracht hatte, konnte sie sterben.
    Aber anders als Paulas Großmutter konnte Vincent von seinem nahen Tod nichts ahnen. Er hat hier nicht aufgeräumt und geputzt, um sich dann zu verabschieden. Er wollte in dieser sterilen Wohnung weiterleben, wollte weiterhin sein Besteck neben dem Teller gerade rücken und das Bettlaken nach routiniertem, aber leidenschaftslosem Sex straff ziehen und glatt streichen.
    Doch dann hat Paula ihm gezeigt, dass auch für ihn nicht alles planbar war – während ihr eigener Plan überraschend gut funktioniert hat. Sie nimmt einen der Bleistifte aus dem Becher und bricht seine Spitze auf der Schreibtischplatte ab. Insgeheim ist sie stolz darauf, wie gut ihr Plan aufgegangen ist. Beide Männer zur selben Zeit an denselben Ort zu locken, den einen in Erwartung seines Schweigegeldes, den anderen in der Hoffnung, endlich das verloren gegangene Kokain zurückzuerhalten – das soll ihr erst mal jemand nachmachen.
    Trotzdem quälen sie Schuldgefühle. Obwohl sie die Ermordung ihres Erpressers durch Kapetanovic für möglich gehalten hat. Warum sollte Julias Mörder mit demjenigen, der das Kokain besitzt, zimperlich umgehen?
    Nur einen Makel hat ihr Plan. Die Fotos, die Paula in der Nacht von Vicos Tod vor seinem Haus zeigen, könnten auftauchen. Spätestens, wenn Vincents Wohnung geräumt wird und sich jemand die Fotos auf der Speicherkarte seiner Kamera oder auf der Festplatte seines Computers anschaut. Die Kamera will Paula später suchen. In einer dermaßen aufgeräumten Wohnung kann es nicht schwierig sein, einen Fotoapparat zu finden. Aber zuerst will sie die Fotos von seinem Rechner löschen.
    Sie setzt sich auf den harten Holzstuhl vor Vincents Schreibtisch, klappt den Laptop auf und fährt ihn hoch. Das hat sie befürchtet: Um sich anzumelden, braucht sie ein Passwort. In keinem ihrer Filme musste sie einen Computer knacken. Sie hat also keine Ahnung, wie sie vorgehen soll. Sie weiß nur, dass viele Leute genau solche Passwörter benutzen, vor denen Experten eigentlich warnen, Begriffe mit einem klaren persönlichen Bezug. Aber was weiß sie schon über Vincents Leben? Außer seiner Leidenschaft für Filme fällt ihr nichts ein. Bei ihren wenigen Treffen hat er die meiste Zeit Paula erzählen
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