Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön

Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön

Titel: Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
auf dem Bahnhof von Wurzen hielt. Erst als die beiden vorderen Kutschen abgefahren waren, stieg der Kutscher des dritten Gefährts auf seinen Bock und drehte sich nach Kochlowsky um.
    »Guten Tag, mein Herr!« begrüßte er ihn, als sähe er ihn zum ersten Mal, und fragte: »Wohin darf es denn sein?«
    »Zum Grafen Douglas!« schnaubte Kochlowsky. Ihm verschlug es fast die Sprache vor Zorn.
    Der Kutscher zog die Schultern hoch, schnufte durch die Nase und starrte seinen Fahrgast an. »Zum … Grafen?«
    »Schwerhörig sollte kein Kutscher sein!« schrie Kochlowsky.
    »Sie … Sie sind ein Gast des Herrn Grafen?«
    »Ein Freund!« brüllte Kochlowsky. Auch wenn das gelogen war – die Wirkung auf den biederen Kutscher, der sofort stramme militärische Haltung annahm, erfüllte ihn mit Freude und ließ seine Überlegenheit aufblühen. »Fahren wir endlich, Lakai? Sie werden dem Grafen erklären müssen, warum wir so spät kommen!«
    Das war nun allerdings eine riesige Übertreibung, denn weder hatte Kochlowsky einen zeitlich genau festgelegten Termin zur Vorsprache, noch würde sich ein Graf Douglas herzlich wenig darum kümmern, daß sein Zweiter Ziegeleiverwalter mit einem Kutscher Krach angefangen hatte, aber der gute Mann auf dem Kutschbock nahm es für bare Münze. Er zog seinen Zylinder, preßte ihn gegen seine Brust und stammelte verschreckt:
    »Ich bitte um Verzeihung, mein Herr. Man kann ja nicht wissen, daß …«
    »Wenn Sie überhaupt was wüßten, wären Sie kein Kutscher!« erklärte Kochlowsky mit dem dumpfen Grollen in der Stimme, das bei den Pleßschen Arbeitern gefürchteter gewesen war als Blitz und Hagelschlag. »Bringen Sie endlich Ihre Karre in Bewegung.«
    Jeder Mensch, auch wenn er betteln geht, hat seinen Stolz. Bei dem Wort ›Karre‹ zuckte der Kutscher schmerzhaft zusammen, stülpte seinen Zylinder auf das graue Haupt, ließ die Peitsche knallen und das Pferd einen Satz nach vorn machen. Kochlowsky fiel nach hinten in den Sitz und stieß sich den rechten Ellbogen an.
    »Noch nicht einmal kutschieren können hier die Kutscher!« schrie er. »Himmel, wo bin ich da hingeraten?«
    Dann versank Kochlowsky in schweigendes Brüten, blickte mißmutig auf die Straßen und die Menschen, an denen sie vorbeifuhren, verglich alles mit seinem geliebten Pleß und fand Wurzen scheußlich. Nur für dich, mein Schatzel, dachte er, sich selbst damit tröstend. Nur für dich und das Kind, das du in dir trägst, verlasse ich Pleß, das herrliche Gut, meine Reitpferde, meinen Dogcart, mein kleines Königreich, wo mir keiner hineinredete, selbst der Fürst nicht. Ich lasse alles deinetwegen zurück … auch die schönen polnischen Mädchen, denen es eine Ehre war, dem Herrn Verwalter in der Scheune, der Remise, im Wald oder im wogenden Kornfeld zu begegnen – na ja, vor allem wegen dieser polnischen Dirnchen gebe ich Pleß auf. Ein guter Ehemann will ich sein, Schatzel, ein vorbildlicher Vater meiner Kinder, ein neuer Kochlowsky soll in Wurzen entstehen: wer einen Engel geheiratet hat, ist vom Satanischen erlöst. O Sophie, mein Frauchen, wenn du jetzt sehen könntest, wie friedlich ich hier in dieser Mistkutsche sitze und mich von einem Flegel von Kutscher beleidigen lasse, ganz ruhig bleibe ich, obwohl er einen Tritt in den Hintern braucht. Ich werden ein anderer Mensch, sieht du das?
    »Lakai«, brüllte Kochlowsky zum Kutschbock hin, »leidet Ihr Gaul unter Verkalkung?«
    Der Kutscher hob die Schultern. Lakai – Gaul – Verkalkung … was mußte man noch alles schlucken und trotzdem ein höflicher Mensch bleiben? »Ferdinand ist erst sieben Jahre alt«, sagte er.
    »Erstaunlich – und wackelt daher wie ein Gichtgreis!«
    Über eine Stunde dauerte die Fahrt bis zum Herrenhaus des Grafen Douglas. Sie fuhren durch lichte Wälder und Zuckerrübenfelder, vorbei an einem schmucken Dorf und schließlich entlang den Tongruben, wo man den Rohstoff für die Ziegelei abbaute. Auf breiten, flachen blechbeschlagenen Wagen wurde der Ton abtransportiert. Kräftige Kaltblutpferde zogen keuchend die schweren Lasten über die Straße zur Ziegelei, von der man in der sonnenmilchigen Ferne nur die beiden hochragenden Schornsteine sah – die Gebäude lagen wie versteckt hinter einer sanften Bodenwelle. Eine schöne Landschaft. Lieblich, friedlich, weit, behäbig, von der Natur verwöhnt, von fleißigen Menschen gepflegt.
    »Anhalten!« sagte Kochlowsky laut. Es war das erste Wort seit einer Stunde, das er sprach.
    Der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher