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Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön

Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön

Titel: Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
Autoren: Heinz G. Konsalik
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man sich erst daran gewöhnen.
    Der Fahrer der ersten Kutsche zuckte zusammen, schob seinen Zylinder tiefer ins Gesicht und kam langsam näher. Der zweite Kutscher schloß sich ihm an. Die Solidarität des Proletariats war gerade zum festen Begriff geworden.
    Kochlowsky zog das Kinn an, sein Bart sträubte sich etwas. Er stellte seine lederne Reisetasche vor sich und trommelte mit den Fingern gegen seine Schenkel. Wenn ich jetzt meine gute polnische Lederreitpeitsche bei mir hätte, dachte er. Immer diese Widerstände! Ich will die dritte Kutsche mit dem kräftigen, gutgenährten Schimmel, aber man will mich zwingen, in die erste Kutsche zu steigen. Einen Leo Kochlowsky will man zu etwas zwingen, ausgerechnet in Sachsen! Man muß diese Leute von Anfang an richtig anfassen!
    »Was haben Sie da gesagt, mein Herr?« fragte der erste Kutscher höflich.
    »Ich möchte mit dem Schimmel fahren!« Kochlowsky entschloß sich, vollendete Tatsachen zu schaffen. Er bückte sich schnell, warf seine Reisetasche in die Kutsche und sprang hinterher. Die drei Kutscher starrten ihn an, als sei er ein Wanderartist, der gerade einen Salto geschlagen hatte.
    »Sie haben mein Pferd beleidigt«, sagte der Kutscher, noch immer höflich. »Seit zwanzig Jahren tut es seinen Dienst. Was verstehen Sie von Pferden, mein Herr?«
    Kochlowsky schnaubte durch die Nase. Hat es einen Sinn, ihnen vom Gestüt des Fürsten Pleß zu erzählen? dachte er. Die besten und stärksten Pferde habe ich geritten, im Vorraum meines Hauses standen die blankgeputzten Reitstiefel wie die Soldaten. Bei Festlichkeiten wie zu Kaisers Geburtstag oder dem Reichsgründungstag schnallte ich einen silberbeschlagenen Sattel auf über einer weißen Schabracke – vorbei alles! Was wißt ihr kleinen Scheißer, wer Leo Kochlowsky war?
    »Fahren wir nun?« fragte er scharf.
    »Nein!« Der dritte Kutscher zeigte mit seiner langen Peitsche nach vorn. »Bei uns herrscht Ordnung …«
    Es war nicht böse gemeint, aber Kochlowsky traf es mitten ins Herz. Er holte tief Luft. Wenn es in seinem Leben etwas Verwerfliches gab, dann war es Unordnung. Auf Gut III bei Pleß wußte jeder, daß der Schreibtisch des Herrn Verwalters einer architektonischen Anlage glich: Jedes Ding hatte seinen festen Platz und Raum. Die sieben Bleistifte in der Glasschale waren gespitzt, das Tintenfaß gefüllt und geputzt, die drei Federhalter staken in Elfenbeinhülsen, die Federn waren jeden Morgen so sauber gereinigt, als seien sie neu. Und da stand jetzt plötzlich, in Wurzen in Sachsen, ein Kutscher vor Kochlowsky und redete von Ordnung! Da kann einem der Herzschlag stocken …
    »Für mein gutes Geld kann ich das Pferd verlangen, das ich haben will!« knurrte Kochlowsky.
    »Haben der Herr vorhin nicht gesagt, mein Pferd würde furzen?« fragte der Kutscher und stützte sich auf seine Peitsche.
    »So ist es!«
    »Das nehmen Sie zurück …«
    »Wie käme ich dazu?« Kochlowsky richtete sich im Sitzen steif auf. Seine schwarzen Augen blitzten. »Wo sind wir denn hier, he?!« Seine Stimme schwoll bedrohlich an, sie dröhnte jetzt über den Bahnhofsvorplatz. Einige Reisende, die das Gebäude betreten wollten, drehten sich erschrocken um. »In Wurzen! Na also! In Wurzen, wo die Pferde furzen … Merken Sie sich das, Lakai!«
    Ein Kutscher, das muß man wissen, ist eine Sorte Mensch für sich. Nicht allein der lebensbestimmende Umgang mit Pferd und Wagen und immer neuen Fahrgästen eigenwilligster Natur prägt so einen Mann, sondern auch die Landschaft. Einen Fiakerkutscher kann man nicht mit einem Berliner Droschkenkutscher vergleichen, und ein Münchener auf dem Bock unterscheidet sich völlig von seinem wortkargen Kollegen aus Hamburg. Ein Kutscher aus Wurzen, solcherart von einem Fremden attackiert, steht da seinen Kutschergenossen in keiner Weise nach. Noch ehe Leo Kochlowsky das begriff, räusperte sich der Beleidigte und spuckte ihm vor die Stiefelspitzen. Dann drehte er sich wortlos um und ging zu seiner Kutsche zurück.
    Der Kutscher, in dessen Wagen Kochlowsky saß, hockte sich auf das Trittbrett und machte keinerlei Anstalten zu fahren. Ebenso stur blieb Kochlowsky auf seinem Platz sitzen und starrte finster in die Gegend. Er kochte vor Wut. Sie werden mich noch kennenlernen, dachte er rachsüchtig. Laßt mich erst in der Ziegelei sein! O Himmel, was wäre in Pleß passiert, wenn ein Kutscher vor mir ausgespuckt hätte?! Nicht auszudenken!
    Über eine Stunde warteten sie stumm, bis der nächste Zug
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