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Knockemstiff (German Edition)

Knockemstiff (German Edition)

Titel: Knockemstiff (German Edition)
Autoren: Donald Ray Pollock
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der armen Frau das wohl tausend Mal gesagt. Manchmal macht mir der Gedanke Angst, ich könnte mir für den Rest meines Lebens wünschen, ich hätte mit sechs die Eingeweide eines Kaninchens quer über Harry Freys Obstgarten gepustet.
    Die Mücken treiben mich schließlich gegen Mitternacht in den Wohnwagen, und ich schaue
Armchair Theater
, da läuft ein Charlie-Chan-Film. Jedes Mal, wenn ich spätnachts fernsehe, tröstet mich der Gedanke, dass all die anderen Menschen in Ohio sich denselben alten Film anschauen und vielleicht sogar dieselben alten Gedanken haben. Ich stelle mir vor, wie sie sich in ihren Wohnzimmern auf den Sofas zusammenrollen und wie all die einsamen kleinen Nachtgeräusche durch die Fenster hereinschweben. Vielleicht liegt es daran, dass Tina morgen abreist, aber heute Nacht bin ich ganz benommen vor Rührung, als der Film zu Ende geht und der Sender aus Columbus abschaltet. Ich trinke mein letztes Bier, während sie
America the Beautiful
spielen und die große Fahne im Wind peitscht. Dann verkrieche ich mich in meine an die Wand genietete Koje, liege da und lausche den verdammten Burschen, die dem alten Schrotthaufen immer weiter die Scheiße aus dem Motor treten.
    Als ich mit einem üblen Kater aufwache, geht gerade die Sonne über Bishop Hill auf. Es ist die Art von beschissenem Kopfschmerz, bei dem ich mir jedes Mal wünsche, ich hätte auf den Rat meiner Mutter gehört und ein braves christliches Mädchen geschwängert, das mir sagt, wo’s langgeht. Es ist heiß im Campingwagen, ich schaue raus, und das Pepsi-Thermometer, das ich ans Plumpsklo genagelt habe, zeigt jetzt schon 25°C. Ich ziehe eine dreckige Jeans und ein sauberes T-Shirt an und pumpe etwas Wasser aus dem Brunnen in eine alte, verbeulte Schüssel. Nach dem Waschen fülle ich den Wischeimer, den ich hinter der Theke stehen habe, mit Wasser. Einige Kunden sehen es ganz gern, wenn ich meine Hände da hineintauche, bevor ich ihnen das Fleisch schneide.
    Ich rüttle am Schloss der Hintertür und trage den Eimer in das Haus aus Gasbetonsteinen. Ein Truck mit Baumstämmen rattert die holprige Straße vor dem Laden entlang, und ich denke, ich kann froh sein, nicht bei dieser Hitze im Wald arbeiten zu müssen. Ich mache das Licht und die Tanksäulen an, schließe die Vordertür auf und drehe das Pappschild um, auf dem GEÓFFNET steht. Der Ventilator hinter der hölzernen Süßigkeitenvitrine macht einen Höllenlärm, als ich ihn einschalte, aber ich lasse ihn trotzdem laufen. Er pustet ein wenig Staub durch die Gegend, Zigarettenasche, ein paar tote, vertrocknete Fliegen. Maude verspricht mir andauernd einen neuen, aber ich weiß, damit wird sie erst anrücken, wenn der alte endgültig den Geist aufgegeben hat. Bei so was ist sie knausrig. Ich ziehe die graue Metallschatulle unter der Theke hervor, die hinter einem Stapel alter
True-Confessions
-Magazine steht, und zähle das Geld.
    Ich sortiere hundert Dollar in kleinen Scheinen und Wechselgeld in die Kasse, werfe ein paar Aspirin ein und suche das Endstück der Mortadella, die ich gestern angeschnitten habe. Hinten im Limonadenkühlfach finde ich eine Flasche RC Cola, die fast gefroren ist, und dazu reiße ich eine Tüte Kartoffelchips auf. So sieht mein Frühstück aus, jeden Morgen außer sonntags, seit zwölf Jahren. Ich stecke meine Hand in die Chipstüte und denke, selbst wenn ich mit Tina wegginge, würde ich wahrscheinlich immer noch das Gleiche essen. Dann ertappe ich mich bei diesem Gedanken und versuche, darüber zu lachen. Ist doch verrückt, so einen Mist zu denken, das weiß ich, aber das mache ich nun schon so lange, dass ich nur schwer damit aufhören kann. Mein alter Herr meinte immer, ich würde in einer Traumwelt leben. Ich ziehe die Wurstpelle ab und werfe sie in den Müll. Vielleicht höre ich auf, mir alle möglichen Dinge zu wünschen, die ich nicht haben kann, wenn Tina erst mal weg ist.
    Ich arbeite in dem Laden, seit ich sechzehn war, jetzt bin ich achtundzwanzig. Maude hat mich eingestellt, kurz nachdem meinem Vater in Michigan die Beine abgetrennt worden waren. Er hatte mit einem Bautrupp irgendwo um Flat Rock herum für die DT&I-Eisenbahnlinie gearbeitet, war im Schnee ausgerutscht und unter einen Waggon voller Schwellen geraten, den sie gerade auf ein Nebengleis rollten. Er hasste es, weg von Knockemstiff zu sein, aber der Job bei der Eisenbahn war der bestbezahlte, den er je hatte. Jedes Mal, wenn er am Wochenende nach Hause kam, witzelte er: »Da oben
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