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Knockemstiff (German Edition)

Knockemstiff (German Edition)

Titel: Knockemstiff (German Edition)
Autoren: Donald Ray Pollock
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Ich habe diese Frage wohl bestimmt schon dreißig, vierzig Mal gehört, seit ich für Maude arbeite, aber ich bin kein Geschichtenerzähler. Und selbst wenn die Alten sich einen ansaufen und die Geschichte von Knockemstiffs Namen zum Besten geben, klingt sie immer noch bescheuert. Aber diese Leute haben den weiten Weg von Kalifornien bis hierher gemacht, und der Mann erwartet Antworten.
    »Ach, keine besondere Geschichte«, sage ich. »Angeblich sind einmal zwei Frauen wegen eines Mannes da vor der Kirche in Streit geraten. Die eine war die Ehefrau, die andere die Freundin. Der Prediger hat gehört, wie eine der beiden schwor, sie würde die andere totschlagen.« Ich zucke mit den Schultern und sehe den Mann an. »Schätze, der Ort hatte damals noch keinen Namen. Das war, bevor ich geboren wurde.«
    Der Mann nickt, als ich fertig bin, dreht sich um und sieht die Frau an, die nun neben mir steht und etwas in ein kleines schwarzes Notizbuch schreibt. »Meine Frau ist Fotografin«, erklärt der Mann. »Wir fahren schon den ganzen Sommer quer durchs Land und suchen nach Orten wie diesem für ihr Buch. Sie findet das ganz aufregend.«
    Ich schaue von dem geschminkten Gesicht der Frau weg. Sie trägt eine weiße Hose und Sandalen und eine weiche, geblümte Bluse. Ich frage mich, ob der Mann mich wohl verarschen will und sich vor seiner hübschen Frau über mich lustig macht. Schwer vorstellbar, dass jemand extra herkommt, nur um ein Foto von Knockemstiff zu machen und es auch noch in ein Buch zu drucken, aber ich habe ja auch schon nicht verstanden, wozu die Regierung vor zwei Jahren diese VISTA-Typen geschickt hat, um den jungen Leuten zu helfen. Ich betrachte den schmierigen Lappen in meiner Hand. Der rosa Nagellack auf den Zehennägeln der Frau hat genau denselben Farbton wie ihre Lippen. Alles an ihr passt perfekt zusammen, und ich versuche mich daran zu erinnern, ob ich so etwas schon mal im richtigen Leben gesehen habe.
    »Wussten Sie, dass es einen Ort namens Toad Suck gibt?« fragt mich der Mann lächelnd.
    »Das ist ja ein toller Name.«
    »Das ist in Alabama«, erklärt er. »Oder Arkansas, hab ich vergessen. Wo ist das noch mal, Charlotte?«
    »Arkansas«, sagt die Frau. Sie fuchtelt mit ihrer Kamera herum und nimmt eine andere Linse aus der Ledertasche, die über ihrer Schulter hängt.
    »Schwer zu glauben, dass es in diesem Land so arme Menschen gibt«, sagt der Mann. »Im reichsten Land der Welt.« Er schüttelt den Kopf und runzelt die Stirn; ich glaube zwar nicht, dass ihn das einen Dreck kümmert, aber mir fällt auf, dass er sich genau wie dieser Kerl von VISTA anhört. Ich lächle in mich hinein und denke an das erste Mal zurück, als Gordon Biddle in kurzen Hosen und mit weichem Strohhut im Laden auftauchte und nach Freiwilligen suchte, um ein Baseballfeld anzulegen. Jemand hatte die Papierfabrik in der Stadt dazu gebracht, ein kleines Stück flaches Land am Rand ihrer Waldungen zur Verfügung zu stellen. Die Jungs aus der Senke schufteten den ganzen Sommer wie die Tiere, räumten Gestrüpp und Geröll beiseite und glätteten die gröbsten Stellen mit Hacke und Schaufel. Gordon schenkte ihnen in diesem Sommer mehr Aufmerksamkeit, als die meisten jemals von ihren Eltern bekommen hatten. Ein, zwei Mal die Woche packte er ein paar von ihnen in seinen Kombi und fuhr mit ihnen in den State Park drüben bei Hillsboro zum Schwimmen. Eines Nachts raffte er sein Zeug zusammen und verschwand, ohne sich zu verabschieden, und hinterher gab es eine Menge dummes Gerede über ihn und den jungen Russell. Nach ein paar Wochen schickte die Regierung einen anderen VISTA-Mann, aber bei dem ging es nur ums Geschäft. Das ist erst vor zwei Jahren gewesen, aber neulich ist mir aufgefallen, dass sich das Dornengestrüpp schon wieder aufs Spielfeld vorarbeitet. Die Schaukeln sind umgestoßen worden. Kein Wunder, dass die armen Leute einen so schlechten Ruf haben.
    Der Mann hüstelt, und ich schrecke hoch. »Entschuldigung«, sage ich. »Tanken?«
    In dem Augenblick schreit die Frau auf. »Mein Gott, Arthur, da drüben ist gerade ein Huhn ins Haus spaziert!« Sie zeigt auf Whitey Fords Bude auf der anderen Straßenseite. Seit seine Frau im Frühling gestorben ist, hat der alte Mann seine Haustür offen, auch nachts. Tiere und Insekten versammeln sich bei ihm wie fette Leute bei der Armenspeisung. Manche behaupten, er sei verrückt geworden, aber Whitey meint, ihm gefalle die Gesellschaft. Das kann ich verstehen, verdammt noch
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