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Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan

Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
Autoren: Kathy Reichs
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Wangenknochen, schwarzen Haaren, sienafarbener Haut.
    Bei einem Blick nach oben bemerkte ich ein kleines Mädchen, das die Arme über den Kopf gestreckt hatte und sich am Absperrseil festhielt. Ein typisches Kind. Dralle Wangen, schmutzige Füße, Pferdeschwanz.
    Es gab mir einen Stich.
    Das Mädchen war so alt wie eine von Mrs. Ch’i’ps Enkelinnen. Seine Haare waren mit Spangen zusammengesteckt, die genauso aussahen wie jene, die wir im Sieb gefunden hatten.
    Ich lächelte. Das Mädchen wandte das Gesicht ab und drückte es ans Bein seiner Mutter. Eine braune Hand strich ihr über den Kopf.
    Nach Aussagen von Zeugen war das Loch, in dem wir arbeiteten, eigentlich als Zisterne gedacht. Als solche wurde es nie fertig gestellt, sondern in der Nacht des Massakers hastig in ein anonymes Grab verwandelt.
    Ein Grab für Leute wie jene, die jetzt da oben Wache hielten.
    Wut kochte in mir hoch, während ich weitergrub.
    Konzentriere dich, Brennan. Verwende deine Energie aufs Finden von Beweisen. Tu, was du tun kannst.
    Zehn Minuten später stieß meine Kelle auf etwas Hartes. Ich legte das Werkzeug weg und grub mit den Fingern weiter.
    Das Objekt war dünn wie ein Bleistift und hatte einen schräg abstehenden Fortsatz, der in einer furchigen Oberseite endete. Am Ende des Fortsatzes eine winzige Kugel. Um Kugel und Fortsatz eine kreisrunde Höhlung. Oberschenkelknochen und Becken. Die Hüfte eines kaum zwei Jahre alten Kindes.
    Ich hob den Kopf, mein Blick traf den des kleinen Mädchens. Wieder wandte es sich ab. Doch dann tauchte es noch einmal auf, spähte zwischen den Falten des Rocks seiner Mutter hindurch und lächelte schüchtern.
    Jesus Christus im Himmel.
    Tränen brannten hinter meinen Lidern.
    »Mateo.«
    Ich deutete auf die kleinen Knochen. Mateo kam in meine Ecke gekrochen.
    Der Oberschenkelknochen war fast auf der ganzen Länge durch Einwirkung von Feuer und Rauch grau und schwarz gesprenkelt. Das distale Ende war bröckelig weiß, was auf intensivere Hitze hindeutete.
    Einen Augenblick sagte keiner von uns etwas. Dann bekreuzigte Mateo sich und sagte mit leiser Stimme:
    »Wir haben sie.«
    Als Mateo aufstand und den Satz wiederholte, versammelte sich das ganze Team am Brunnenrand.
    Ein flüchtiger Gedanke. Wen haben wir, Mateo? Wir haben die Opfer, nicht die Mörder. Wie groß ist die Chance, dass auch nur einer dieser staatlich sanktionierten Schlächter je angeklagt, geschweige denn bestraft wird?
    Elena warf eine Kamera herunter und dann einen Plastikmarker mit der Ziffer »1« darauf. Ich steckte den Marker mit der Fallnummer neben dem Fund in die Erde und fotografierte ihn.
    Dann machten Mateo und ich uns wieder ans Graben, die anderen ans Hochziehen der Eimer und ans Sieben. Nach einer Stunde stellte ich mich ans Sieb. Und nach einer weiteren kletterte ich wieder in die Grube.
    Das Gewitter ließ auf sich warten, und die Zisterne erzählte ihre Geschichte.
    Das Kind war eins der letzten Opfer gewesen, die man in das versteckte Grab hinabgelassen hatte. Darunter und im Umkreis lagen die Überreste der anderen. Einige stark verbrannt, andere kaum angesengt.
    Bis zum späten Nachmittag hatten wir sieben Fallnummern zugewiesen, und fünf Schädel starrten uns aus einem Knochengewirr heraus an. Drei der Opfer waren Erwachsene, mindestens zwei Jugendliche. Nummer eins war ein Kind. Bei den anderen war eine Altersschätzung unmöglich.
    Bei Einbruch der Dunkelheit machte ich eine Entdeckung, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Über eine Stunde lang hatte ich an Skelett Nummer fünf gearbeitet. Ich hatte Schädel und Unterkiefer freigelegt und Wirbelsäule, Brustkorb, Becken und Gliedmaßen von Erde befreit. Ich hatte mich an den Beinen entlang gearbeitet und die Fußknochen unter denen des Opfers daneben entdeckt.
    Skelett Nummer fünf war weiblich. Die Augenhöhlen zeigten keine dicken Wülste, die Wangenknochen waren glatt und schmal, die Fortsätze des Schläfenbeins klein. Die untere Körperhälfte war in die Überbleibsel eines verfaulten Rocks gewickelt, der exakt so aussah wie das Dutzend über mir. An einem fragilen Fingerknochen steckte ein korrodierter Ehering.
    Obwohl die Farben ausgebleicht und fleckig waren, konnte ich auf dem Stoff, der am Oberkörper hing, ein Muster erkennen. Zwischen den Armknochen, auf dem zusammengebrochenen Brustkorb, lag ein Bündel mit einem anderen Muster. Vorsichtig löste ich eine Ecke, schob die Fingerspitzen darunter und hob die äußere Gewebeschicht
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