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Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan

Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
Autoren: Kathy Reichs
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an.
    Einmal erhielt ich in meinem Labor in Montreal den Auftrag, den Inhalt eines Jutesacks zu untersuchen, den man am Ufer eines Binnensees gefunden hatte. Aus dem Sack zog ich mehrere Steine und Knochen, die so dünn waren, dass ich zuerst dachte, sie stammten von einem Vogel. Ich hatte mich geirrt. Der Sack enthielt die Überreste von drei Kätzchen, die man mit den Steinen beschwert und ins Wasser geworfen hatte, um sie zu ertränken. Mein Abscheu war so stark gewesen, dass ich das Labor verlassen und einige Meilen gehen musste, bevor ich weiterarbeiten konnte.
    In dem Bündel, das das Skelett Nummer fünf umklammert hielt, fand ich einen Bogen aus winzigen Wirbelscheiben und einen zierlichen Brustkorb, der sich darum wölbte. Arm- und Beinknochen von der Größe von Streichhölzern. Einen Miniaturkiefer.
    Mrs. Ch’i’ps kleine Enkelin.
    Unter den papierdünnen Schädelfragmenten ein 556er-Projektil, wie es von einem Sturmgewehr verschossen wird.
    Ich erinnerte mich, was ich angesichts der Gräueltat an den Katzen empfunden hatte, aber jetzt spürte ich rasende Wut. In der Umgebung unserer Grabungsstätte gab es keine Straßen, auf denen ich hätte laufen können, keine Möglichkeit, meinen Zorn zu verarbeiten. Ich starrte die kleinen Knochen an und versuchte, mir den Mann vorzustellen, der den Abzug betätigt hatte. Wie konnte er nachts schlafen? Wie konnte er tagsüber Menschen in die Augen schauen?
    Um sechs sagte Mateo, es sei genug für heute. Oben roch die Luft nach Regen, und Blitzadern pulsierten in schweren, schwarzen Wolken. Die Einheimischen waren verschwunden.
    Wir beeilten uns, deckten den Brunnen ab, verstauten die Ausrüstung, die wir hier lassen, und packten zusammen, was wir mitnehmen wollten. Während das Team arbeitete, fielen die ersten schweren, kalten Tropfen auf das provisorische Dach über unseren Köpfen. Amado, der Vertreter des Bezirksstaatsanwalts, wartete mit zusammengeklapptem Gartenstuhl und unergründlicher Miene.
    Mateo zeichnete das Dienstbuch der Polizeiwachen ab, und dann machten wir uns auf den Weg durch den Mais, einer hinter dem anderen, wie Ameisen auf einer Duftspur. Wir hatten eben den langen, steilen Anstieg begonnen, als das Gewitter losbrach. Harter, vom Wind gepeitschter Regen stach mir ins Gesicht und durchnässte Haare und Kleidung. Blitze zuckten. Donner grollte. Bäume und Maisstauden bogen sich im Wind.
    Binnen Minuten stürzte Wasser die Hügelflanke herab und verwandelte den Pfad in einen glitschigen, braunen Bach aus Schlamm. Wieder und wieder rutschte ich aus, schlug mir zuerst das eine, dann das andere Knie an. Ich krabbelte in die Höhe, hielt mich mit der rechten Hand an Pflanzen fest, zog mit der linken eine Tasche mit Kellen hinter mir her und suchte mit den Füßen Halt. Obwohl Regen und Dunkelheit mir die Sicht nahmen, konnte ich die anderen über und unter mir hören. Jeder Blitz, der über den Himmel zuckte, ließ ihre gebückten Gestalten weiß aufleuchten. Meine Beine zitterten, meine Lunge brannte.
    Eine Ewigkeit später erreichte ich den Grat und schleppte mich zu dem Flecken Erde, wo wir vor elf Stunden unsere Fahrzeuge abgestellt hatten. Ich legte eben Schaufeln auf die Ladefläche eines Pick-ups, als Mateos Satellitentelefon klingelte, ein Geräusch, das in Wind und Regen kaum zu hören war.
    »Kann da jemand drangehen?«, rief Mateo.
    Ich schlitterte und rutschte zur Fahrerkabine, packte seinen Rucksack, fischte den Apparat heraus und schaltete ihn ein.
    »Tempe Brennan«, rief ich.
    »Seid ihr immer noch an der Grabungsstelle?« Englisch. Es war Molly Carraway, meine Kollegin aus Minnesota.
    »Wir brechen gerade auf. Es regnet wie verrückt«, rief ich und wischte mir mit dem Handrücken Wasser aus den Augen.
    »Hier ist es trocken.«
    »Wo seid ihr?«
    »Knapp hinter Sololá. Wir sind erst spät losgefahren. Hör zu, ich glaube wir werden verfolgt.«
    »Verfolgt?«
    »Ein schwarzes Auto hängt uns seit Guatemala City im Nacken. Carlos hat versucht sie abzuschütteln, aber ohne Erfolg.«
    »Kannst du den Fahrer erkennen?«
    »Nicht richtig. Die Windschutzscheibe ist getönt und –«
    Ich hörte einen lauten Schlag, einen Schrei und dann statisches Rauschen, als wäre der Apparat zu Boden gefallen und würde jetzt herumschlittern.
    »Mein Gott!« Die Entfernung dämpfte Carlos’ Stimme.
    »Molly?«
    Ich hörte erregte Worte, die ich nicht verstehen konnte.
    »Molly, was ist los?«
    Schreie. Noch ein Schlag. Kratzen. Eine Hupe. Ein lautes
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