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Knochenbruch

Knochenbruch

Titel: Knochenbruch
Autoren: Dick Francis
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sagte ich. »Aber Sie haben ein Pferd getroffen.«
    Mit sichtbar geringer werdenden Kräften sagte Carlo: »Er hat Carlo erschossen … und er hat auf mich geschossen … Also hab ich’s ihm auch gegeben … diesem Hurensohn … Er war … von Sinnen …«
    Die Stimme brach. Es gab nichts mehr, was wir für ihn tun konnten – in diesem Augenblick und unmerklich starb er.
    Er starb an der Stelle, an der er Tommy Hoylake aufgelauert hatte. Als ich neben ihm niederkniete, um seinen Puls zu fühlen, und den Kopf hob, um über die Galoppbahn zu schauen, bot sich mir derselbe Blick, den er gehabt hatte: klare Sicht auf die herannahenden Pferde, durch die spärlichen niedrigen Zweige eines Gebüschs, das ein hervorragendes Versteck war. Die dunkle Gestalt Lancats lag wie ein kleiner Hügel auf dem Gras, dreihundert Meter entfernt, und eine neue Gruppe von Pferden jagte sorglos um die Kurve und kam auf mich zu.
    Ein leichter Schuß für einen guten Schützen. Er hatte es nicht einmal für nötig befunden, ein Zielfernrohr zu benutzen. Auf diese Entfernung und mit einer Lee Enfield brauchte man auch keins. Man brauchte auch nicht punktgenau zu zielen: ein Treffer irgendwo am Kopf oder Rumpf, und die Sache war erledigt. Ich seufzte. Hätte er ein Zielfernrohr benutzt, wäre ihm wahrscheinlich aufgefallen, daß er auf Alessandro zielte.
    Ich stand auf. Unbeholfen, unter Schmerzen und den Moment verwünschend, in dem ich niedergekniet war.
    Alessandro war nicht ohnmächtig geworden. Hatte sich nicht übergeben. Der Schweiß auf seinem Gesicht war getrocknet, und er sah seinen Vater unverwandt an.
    Als ich auf ihn zuging, drehte er sich um, aber er brauchte zwei oder drei Versuche, bevor seine Stimme ihm wieder gehorchte.
    Schließlich gelang es ihm. Er klang angespannt, verzerrt, heiser – und was er sagte, taugte auch ganz gut als Grabinschrift.
    »Er hat mir alles gegeben«, sagte er.
     
    Wir gingen zurück zur Straße, wo Alessandro Lucky Lindsay an einen Zaun gebunden hatte. Der Hengst, von den Geschehnissen unbeeindruckt, weidete im Gras.
    Keiner von uns sagte etwas.
    Etty kam mit dem Landrover angepoltert, und ich überredete sie, ihn zu wenden und mich direkt in die Stadt zu fahren.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte ich zu Alessandro, aber er starrte nur schweigend und mit Augen, die zu viel gesehen hatten, ins Leere.
    Als ich zurückkam, hatte ich die Polizei bei mir. Etty war auf Rowley Lodge geblieben, um dort nach dem Rechten zu sehen, denn es war immer noch und unglaublicherweise Guineas-Tag, und wir mußten uns um Archangel kümmern. In der Stadt machte ich noch einen Abstecher zum Arzt, wo ich an einer empörten Schlange in seinem Wartezimmer vorbeiging und ihn dazu brachte, die Enden meines Schlüsselbeins wieder in eine gerade Linie zu bringen. Danach war es etwas erträglicher, aber immer noch kein Grund zum Jubeln.
    Den größten Teil des Vormittags verbrachte ich oben an der Kreuzung. Beantwortete einige Fragen und schwieg zu anderen. Alessandro hörte, wie ich dem ranghöchsten Polizisten, der aus Cambridge gekommen war, erzählte, daß Enzo auf mich einen äußerst unausgeglichenen Eindruck gemacht habe.
    Der Polizeiarzt nahm diese Laienäußerung mit Skepsis auf.
    »In welcher Hinsicht?« fragte er ohne besonderen Respekt.
    Ich hielt inne, um nachzudenken. »Schon mal einen Syphilitiker gesehen?« fragte ich, und seine Augen weiteten sich jäh, bevor er wieder im Gebüsch verschwand.
    Alessandro gegenüber benahmen sie sich sehr rücksichtsvoll. Er saß am Straßenrand im Gras auf irgend jemandes Regenmantel, und später verabreichte der Polizeiarzt ihm ein Beruhigungsmittel.
    Es war eine Injektion, und Alessandro wollte sie nicht. Die Männer schenkten seinen Einwänden keine Beachtung, und als die Nadel in seinem Arm steckte, bemerkte ich, daß er mir starr ins Gesicht sah. Er wußte, daß auch ich an viele andere Injektionen dachte, an mich selbst, an Carlo und Moonrock und Indigo und Buckram. Zu viele Nadeln. Zu viel Tod.
    Das Medikament machte ihn nicht bewußtlos, sondern ließ ihn nur noch benommener aussehen als zuvor. Die Polizei beschloß, er solle ins Forbury Inn zurückkehren und schlafen, und jemand führte ihn zu einem Streifenwagen.
    Er blieb vor mir stehen, bevor er den Wagen erreichte, und sah mich aus den dunklen Augenhöhlen, die tief in seinem grauen, ausgezehrten Gesicht lagen, ergriffen an.
    »Sehen Sie nur die Blumen«, sagte er. »Auf dem Grab des Jungen.«
    Als er fort war,
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