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Knochenbruch

Knochenbruch

Titel: Knochenbruch
Autoren: Dick Francis
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Cal kannten Alessandro … Sie kannten ihn gut … aber sie glaubten, er habe seinem Vater gehorcht und sei im Hotel geblieben … Und ein Jockey sah so ziemlich wie der andere aus, aus einer gewissen Entfernung auf einem galoppierenden Pferd …
    Alessandro, dachte ich. Alessandro, der an dem goldenen Maimorgen immer weiter galoppierte … direkt in den Tod.
    Schneller konnte ich nicht. Lancat konnte nicht schneller. Über den Atem des Pferdes konnte ich nichts sagen, aber meiner ging nur noch in gewaltigen Stößen. Mehr Schluchzer, möchte ich sagen. Ich hätte wirklich zu Hause bleiben sollen.
    Ich steuerte noch eine Spur mehr nach rechts und trieb Lancat an. Schwächlicher Versuch. Steigerte das Tempo nicht im mindesten.
    Wir kamen näher. Der Winkel wurde plötzlich schärfer, als die Line-Bahn ihre Kehre nach rechts machte. Lucky Lindsay kam um die Ecke, raste auf den Streckenabschnitt zu, auf dem Alessandro am verwundbarsten sein würde … Carlo und Cal waren bestimmt dort … dort vorne, denn Cal konnte sichergehen, daß er einen Mann treffen würde, der direkt auf ihn zukam … Auf diese Weise gab es nicht dieselben Probleme, wie wenn man versuchte, ein bewegliches Ziel zu treffen …
    Sie mußten auch mich sehen können, dachte ich. Aber wenn Cal durch sein Visier blickte und das Fadenkreuz im Ring auf Alessandros braunen Pullover und den schwarzen, gesenkten Kopf richtete, würde er mich nicht bemerken … und würde ohnehin nichts Besonderes darin sehen, nur ein weiteres Pferd, das über die Heide galoppierte.
    Lancat schwenkte aus eigenem Antrieb auf Lucky Lindsay zu und nahm das Rennen auf … Durch und durch Kämpfernatur, die er selbst in der totalen Erschöpfung noch war, entschlossen, den Kopf nach vorn zu bekommen.
    Zehn Meter, drei … und immer näher.
    Alessandro war mehrere Längen vor den beiden Pferden, mit denen er gestartet war. Mehrere Längen vor ihnen, ganz allein.
    Lancat stieß in einem Winkel zu Lucky Lindsay und warf den Kopf hoch, um einen Zusammenstoß zu vermeiden …, und Alessandro wandte sein Gesicht in ungläubigem Staunen mir zu …, und obwohl ich die Absicht gehabt hatte, ihm zuzurufen, er solle abspringen und sich flach auf den Boden legen, bis sein Vater es geschafft hatte, Carlo und Cal zu finden, gingen die Dinge nicht ganz so vonstatten.
    Lancat stieg halb hoch, warf mich zur Seite ab, so daß ich auf Lucky Lindsay fiel, und ich legte meinen rechten Arm auf Alessandro und riß ihn mit, so daß wir gemeinsam ins Gras fielen. Und auch Lancat stürzte und lag zu unseren Füßen. Der tapfere, schnelle, entschlossene Lancat – er würde nirgendwo mehr hingehen.
    Die Hälfte von Lancats Hals war weggerissen, und sein Blut und sein Leben rannen hinaus auf den hellgrünen Rasen.
    Alessandro versuchte, sich aus meiner Umklammerung herauszuwinden und aufzustehen.
    »Bleiben Sie liegen!« rief ich wild. »Tun Sie einfach, was ich sage, und bleiben Sie flach liegen.«
    »Ich bin verletzt«, sagte er.
    »Daß ich nicht lache.«
    »Ich habe mir das Bein verletzt«, protestierte er.
    »Sie werden ein Loch im Herzen haben, wenn Sie aufstehen.«
    »Sie sind verrückt«, sagte er.
    »Sehen Sie sich doch Lancat an … Was glauben Sie, fehlt ihm? Glauben Sie, er liegt zum Spaß da?« Ich schaffte es nicht, die Bitterkeit aus meiner Stimme fernzuhalten, und versuchte es auch nicht. »Das hat Cal getan. Cal und sein großes, verdammtes Gewehr. Sie sind hier rausgekommen, um Tommy Hoylake zu erschießen, doch Sie haben an seiner Stelle Lucky Lindsay geritten, und die beiden konnten den Unterschied nicht erkennen, was Sie freuen sollte … Und wenn Sie jetzt aufstehen, werden sie’s noch mal versuchen.«
    Er blieb liegen. Sprachlos. Und ganz, ganz flach.
    Ich rollte mich von ihm weg und preßte mir die Faust auf die Zähne, denn, um die Wahrheit zu sagen, ich hatte größere Schmerzen, als ich für möglich gehalten hätte. Er und sein verfluchter blöder Vater … Die freien, scharfen Enden meines Schlüsselbeins schnitten sich neue und ungeplante Wege durch mehrere protestierende Gewebeschichten.
    Um uns herum entwickelte sich ein ziemliches Theater. Als der Ring schockierter Zuschauer schützend und dicht genug geworden war, erlaubte ich ihm aufzustehen, aber er kam nur bis auf seine Knie, neben Lancat, und auf seinen Reithosen und seinem Pullover waren Spritzer von dem Blut des Pferdes.
    »Lancat …«, sagte er hoffnungslos, und in seiner Stimme lag tödliches Entsetzen. Als eine
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