Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Rache zwischendurch (German Edition)

Kleine Rache zwischendurch (German Edition)

Titel: Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
Autoren: Walter Fritz Müller
Vom Netzwerk:
Julia dann doch eingeschlafen. Sie lag verdreht im Bett, halb auf dem Bauch, ihr rechter Arm drückte auf ihr Herz und das viel zu hohe Kopfkissen verrenkte ihr fast den Hals.
    Plötzlich schreckte sie hoch. Sie hatte einen Knall gehört, einen Schuss, ja, es musste ein Schuss gewesen sein. Im fahlen Schein des Nachtlichts sah sie Armin liegen. Er schlief fest und atmete ganz gleichmäßig. Julia stand auf, die Steppdecke rutschte herunter. Julia ging ein paar Schritte, ergriff abwesend das dünne Betttuch und schlang es fest um ihren nackten Körper. Sie glaubte, sich beim Zubettgehen an Armin gekuschelt zu haben und friedlich eingeschlafen zu sein, ohne einen Gedanken an die letzten Tage. Ihr war wohlig warm gewesen. Sie verwechselte den Nachmittag mit der Nacht. Jetzt fror sie. Mit bloßen Armen stand sie da, reglos, und versuchte, sich zu erinnern, was vorgefallen sein könnte. Der Schuss. Es war ein Schuss gewesen. Sie hatte ihn deutlich gehört. Sie wollte zur Toilette gehen, aber das Tuch hatte sich fest um ihre Fesseln gelegt, und hinderte sie, einen Schritt zu tun. Ihr Blick fiel in den großen Spiegel, der bis auf den Teppich herab reichte, und da erschrak sie. In dem Spiegel stand eine schlanke Frau mit einer perlenbesetzten Kappe auf dem blauschwarzen Haar, mit Ohrgehängen aus Perlen und mit vielen Reifen und Ketten an ihren nackten Armen und Handgelenken. Die Frau im Spiegel stützte ihre Hände auf der Hüfte ab und betonte so ihre schmale Taille. Die Augen blickten nur durch einen schmalen Spalt, der Mund war leicht geöffnet; sie schien nachzudenken. Bekleidet war sie mit einem grauen Tuch ohne jeden Zierrat. Es sah aus, als hätte sie sich ein Bettlaken straff um den Leib geschlungen. Ihre Füße verschwanden völlig unter dem Tuch, das ihre Fesseln fest einschnürte. Bei dem Versuch, einen Schritt zu wagen, hätte sie hinstürzen müssen. Der Hintergrund wirkte gefährlich düster, wie ein stürmischer Himmel kurz vor einem Gewitter. Im Spiegel stand Margaretha Geertruida Zelle, aber das Gesicht war ihr eigenes. Julia sah sich als Mata Hari, als die indische Tempeltänzerin, die von den Franzosen am 15. Oktober 1917 als deutsche Spionin H-21 erschossen worden war.
    Julia verkroch sich unter der Steppdecke. Niemals zuvor hatte sie gefürchtet, entdeckt zu werden. Aber diesmal war ihr ein Fehler unterlaufen, der durch nichts zu entschuldigen war. Der Traum hatte sie erschreckt wie kein anderer zuvor. Sie sah es als Mahnung, nicht als außerirdische Botschaft, von einem Schutzengel gesandt, sondern als Warnung ihrer eigenen Sinne. Sie musste aufhören. Nur als brave Hausfrau und zärtliche Gattin ihres geliebten Armin hatte sie noch eine Chance. Beim nächsten Versuch würde man sie ganz gewiss erwischen und für viele Jahre einsperren.
    Statt sich zu beruhigen, begann ihr Herz noch einmal heftig zu schlagen. Sie hatte doch tatsächlich vorgehabt, ihren Gatten, dem sie Treue geschworen hatte, zu verlassen, ohne Abschied, ohne einen letzten Kuss. Nur ein Brief sollte ihm bleiben, ein Brief mit einem Absender, den es gar nicht gab. Ein Brief, der ihm jede Hoffnung nahm, sie noch einmal zu sehen.
    Julia schluckte, sie war dem Weinen nahe. Diesen furchtbaren Schmerz konnte sie ihrem Armin nicht antun. Sie wünschte sich ein Kind von ihm. Für dieses Kind und seinen Vater wollte sie leben. Und sie musste sich auch um Rex kümmern, es ging ihm in letzter Zeit nicht mehr so gut. Er hatte über Rückenschmerzen geklagt und konnte seinen Hals nicht mehr richtig drehen. Sie würde ihn wie ihren Vater aufnehmen und pflegen und einen glücklichen Lebensabend bescheren. York musste sie absagen. Sie konnte Rex, Armin und das Kind nicht verlassen, nur um ihr eigenes Glück in seinen Armen zu finden. Und er konnte das auch nicht wollen.
    Julia schüttelte heftig den Kopf. Niemals würde sie so ungerecht gegen ihre Liebsten handeln können. Niemals.
    27.
    Laut Seewetterbericht sollte der Wind auffrischen und nach Südost drehen. Aber die alten Hasen glaubten das nicht. Um diese Zeit drehte der Wind nie und schon gar nicht nach Südost. Keiner hatte das je erlebt. Alle schüttelten die Köpfe. Friedanger hatte noch nie für die Neuseelandregatta gemeldet. Er kannte die See hier überhaupt nicht. Sollte er dem Wetterbericht oder den erfahrenen Regattaseglern glauben?
    Gestartet wurde hier in Auckland um neun Uhr. Great Barrier Island sollte backbords liegen bleiben, und dann musste Kurs auf East Cape genommen werden.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher