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Klatschmohn

Klatschmohn

Titel: Klatschmohn
Autoren: Anke Greifeneder
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Resolut schleppte sie mich in ihr Ankleidezimmer und begann, ein Designerkleid nach dem anderen vorzuziehen.
    Prüfend schaute sie mich an. Ich folgte ihrem Blick und sah mich im Spiegel.
    Größe 178 cm, Haare lang, hellbraun mit goldenen Strähnchen. Augen groß, hellblau. Mund laut Aussage sämtlicher Männer sinnlich. Busen dekolletéfüllend.
    Ich wusste, dass damit die Schokoladenseiten abgegolten waren. Hüften zu breit.
    Oberschenkel mit leichten Anzeichen von Cellulite.

    Auch die ersten Fältchen um die Augen fand ich nicht sehr ermunternd, aber die lassen sich kaum vermeiden, wenn man dreißig wird. Waden wieder ganz in Ordnung, was nur die Konsequenz zuließ, mich ab der Hüfte in eine Pferdedecke zu hüllen. Natürlich war das übertrieben dargestellt, denn alles in allem sah ich sehr annehmbar aus.

    Noch prickelnder waren aber angeblich mein Charme und Witz, die ich bereits entwickelt hatte, als ich noch zu Hause wohnte. Kein Wunder. Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, in der es mehr Bäume als Menschen gab und wo ich selbst nach 18 Jahren noch misstrauisch beäugt wurde, weil meine Familie nicht bereits seit vier Generationen dort lebte. Ich war immer die »Zugereiste« oder »Reingeschmeckte« geblieben, die so komisch sprach. Komisch hieß in diesem Fall Hochdeutsch.

    Obwohl meine Kindheit und Schulzeit sehr behütet und glücklich gewesen waren, hatte ich es kaum abwarten können, nach meinem Abitur in die große Stadt zu ziehen - sehr zum Leidwesen meiner kleinen Schwester, die sich fortan der geballten Erziehungsgewalt meiner Eltern gegenübersah.

    Ich hingegen begann ein Volontariat bei einer angesehenen Tageszeitung, studierte im Anschluss Literaturwissenschaften und landete als Ghostwriter beim Weidelechnerverlag, wo ich Stars und manchmal Sternchen aus der Unterhaltungsbranche beim Verfassen ihrer Biografie unter die Arme griff.

    Ich liebte meinen Job, auch wenn ich mich manchmal fragte, wie man im Ernst auf die Idee kommen konnte, mit knapp dreißig Jahren bereits einen Lebensrückblick zu wagen, bloß weil man zur richtigen Zeit am falschen Ort einen prominenten verheirateten Mann gepoppt oder mit viel Silikon und einer riesigen Marketingmaschinerie zwei Chartplatzierungen geschafft hatte. Ich meine die Kategorie »Sängerinnen«, bei denen man denkt, weshalb singen? Ausziehen hätte völlig gereicht.

    Spaß machten mir vor allem Fernsehlegenden, verdiente Journalisten oder Schauspielerinnen, die ihr Handwerk wirklich verstanden und nicht in irgendwelchen Vorabend-Soaps durch bauchfreie Tops am Tresen zu Ruhm gelangt waren.

    Leander gehörte natürlich zur äußerst seriösen Kategorie, und genau deshalb konnte ich ihm nicht in irgendeiner Aufmachung begegnen. Sowohl Katharina als auch mir war klar, dass ich in ihre eng anliegenden Dolce & Gabbana-Fummel nicht hineinpassen würde.

    Zum Glück fand sie einen wadenlangen schwarzen Rock, der passte. Dazu Riemchensandalen, die nur etwas zu groß waren, und ein Top, das mein Busen fast sprengte. Die Haare wurden hochgesteckt, mein Gesicht etwas abgepudert, ein Spritzer Parfum, und schon fühlte ich mich erheblich besser.

    »So, Pia Mohnhaupt, jetzt gehst du da runter, zeigst deine perfekten Beißerchen und lässt die Witze über unsere Familientherapeutin schön sein.
    Übrigens, du siehst hinreißend aus. Na ja, kein Wunder, sind ja auch meine Klamotten.« Katharina war zufrieden mit ihrem Werk.

    Auf halbem Weg nach unten hörte ich eine mir nur zu gut bekannte durchdringende Stimme sagen: »Also ich persönlich fand Ihre letzte Sendung ergreifend. Wie kann ein Mann nur so viel Feingefühl besitzen!«

    Witta die Widerliche, wer sonst. Natürlich hatte sie sich an Leander herangemacht. War wahrscheinlich der Einzige, der ihrem Verstorbenen das Wasser reichen konnte. Ich tippte Katharina an die Schulter.

    »Was macht denn Witta hier? Ist der Abend nicht schon schlimm genug?«

    Katharina seufzte. »Ich habe sie nicht eingeladen. Sie hat Herbert zufällig in der Stadt getroffen, und der hatte nichts Besseres zu tun, als sich zu verplappern.
    Sie hat ihn mehr oder weniger verhört. Auf jeden Fall ist sie beleidigt und ignoriert mich schon den ganzen Abend. Wollen wir mal hoffen, dass das anhält.«

    Witta hatte mich bereits auf der Treppe bemerkt, machte aber keine Anstalten, mich zu begrüßen oder dazu zu bitten.

    Die Nachricht war eindeutig. Ihr wolltet mich nicht dabei haben, und jetzt stehe ich mit dem begehrtesten Mann der
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