Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition)
Autoren: T. A. Wegberg
Vom Netzwerk:
der mir bei jeder Gelegenheit ans Bein pisst. Na ja, okay, jetzt übertreib ich ein bisschen. Jedenfalls kann ich die Vokabeln nicht, und ich muss wieder mal ein halbleeres Blatt abgeben. Allmählich verliere ich den Überblick über meine Misserfolge.
    Im Deutschunterricht beschließt der Wiesner dann, dass er mich nicht länger ignorieren will, und stellt mir mehrmals Fragen zu unserer Klassenlektüre, die ich ja bekanntlich nie zu Ende gelesen habe. Das Schlimme ist, dass sogar schon diese Fragen bei mir Beklemmung auslösen, ganz davon abgesehen, dass ich sie natürlich auch nicht beantworten kann. Trotzdem versuche ich meinen Hals zu retten und irgendwas zu erzählen, das mich nicht entlarvt.
    Mein Rumgeeier führt dann dazu, dass Jacqueline, Henning und Justus blöde Sprüche rauslassen. Unter anderem sagt Henning laut genug, dass auch der Wiesner es hören kann: «Der hat doch den Text gar nicht gelesen.» Und Jacqueline, die offenbar schon lange auf so eine Gelegenheit gewartet hat, äfft mich auf total miese Weise nach, als ich wieder mal ins Stottern gerate. Justus unterstützt sie dabei.
    Schließlich schaltet Kenji sich ein und wird für seine Verhältnisse ungewohnt deutlich. Das bringt die beiden zum Schweigen. Aber in der Pause gibt es dann lauter saudumme Sprüche, so was wie: «Na, da hast du deinen Schatz aber brav verteidigt», oder: «Wollt ihr zwei Tucken nicht lieber einen Friseursalon aufmachen?» Das Letztere kommt von Justus. Ich bin kurz davor, die Beherrschung zu verlieren und ihm eine zu verpassen.
    Kenji lässt sich wie üblich nicht aus der Ruhe bringen, sondern hakt mich unter und zwitschert: «Ach Gottchen, Darling, ist das nicht eine entzückende Idee?» Leider bin ich zu wütend, um seine Strategie zu würdigen, sondern schüttele ihn nur schnaubend ab, und erst während der Geschichtsstunde wird mir klar, wie blöd das von mir war.
    Ich nehme mir reumütig vor, mir von ihm beibringen zu lassen, wie man mit Provokationen umgeht. Aber da ist es schon zu spät, ich hab ihn mit meiner Reaktion verletzt, und jetzt benimmt er sich wirklich wie eine Tucke, und ich muss die gesamte Musikstunde lang um ihn rumschnurren, damit er mich wieder liebhat. Mann, ist das alles anstrengend.

    M ein Vater war nach meinem Unfall noch zwei Tage länger geblieben als geplant. Davon hatte ich nur leider nicht viel gehabt, weil ich die meiste Zeit bewusstlos war oder jedenfalls vor mich hindämmerte. Ich konnte mich nur schwach erinnern, dass er mal an meinem Bett gesessen und mich hoffnungsvoll angelächelt hatte. Dann musste er dringend zurück nach Berlin, weil er seine Arbeit nicht länger vernachlässigen konnte. Aber er hatte mich täglich angerufen.
    «Schön zu hören, dass es dir wieder besser geht», sagte er am fünften Tag. «Hast du dir schon einen Job gesucht?»
    «Was? Wieso?», fragte ich verständnislos.
    «Na, um die Weinflaschen zu ersetzen. Wird ja einige Zeit dauern, bis du das Geld zusammengespart hast.»
    Manchmal ist er echt gewöhnungsbedürftig, der Humor von meinem Vater. Aber ich hab ihn trotzdem lieb.

[zur Inhaltsübersicht]
    129
    B is zur Probe am Nachmittag ist Kenji zum Glück wieder versöhnt. Dafür warten wir über zwanzig Minuten auf Toshi, der nicht an sein Handy geht. Wir haben bloß drei Stunden Zeit, dann muss Moritz zur Arbeit, also ist jede Verspätung katastrophal. Endlich kommt Toshi angehetzt, murmelt Entschuldigungen und ist dann so krass unkonzentriert, dass er dauernd Fehler macht.
    Moritz ist ziemlich sauer und verliert schließlich die Geduld. «Verflucht noch mal, jetzt reiß dich zusammen!», schreit er Toshi an. Wieder ist es Kenji, der dazwischengeht. «Hey, hey, jetzt chill mal», sagt er zu Moritz. Er zieht sich den Schulterriemen über den Kopf, stellt seinen Bass zur Seite, geht rüber zu Toshi und nimmt ihn in den Arm.
    Er flüstert ihm irgendwas ins Ohr. Toshi hält sich an ihm fest. Ein, zwei Minuten bieten die beiden einen wirklich rührenden Anblick. Moritz guckt genervt woandershin und trommelt einen wütenden, schnellen Rhythmus. Dann kehrt Kenji an seinen Bass zurück, und es geht weiter. Und diesmal läuft es.

    W ie die Schonung genau aussehen sollte, wusste ich nicht. Schließlich hatte ich mich auch vorher nicht gerade kaputtgearbeitet. Aber die Ärztin meinte das wohl eher so auf der psychischen Ebene. Ich war jedenfalls froh, wieder zu Hause zu sein, in meiner vertrauten Umgebung. Ich konnte wieder Gitarre spielen, wenn mir danach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher