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Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition)
Autoren: T. A. Wegberg
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Sinn, sich aus dem Weg zu gehen und so zu tun, als gäbe es den anderen nicht.
    Tja, dann bin ich wohl kein erwachsener Mensch, aber wenn meine Frau oder Freundin einen Neuen hätte, würde ich den nicht an meinem Esstisch sitzen lassen und auch noch brav Smalltalk mit ihm machen, so viel steht fest. Ich würde ihn nicht mal in mein Haus reinlassen. Wahrscheinlich würde ich ihm auf der Straße auflauern und ihm eins auf die Glocke hauen. Aber meine Eltern wollten das offensichtlich anders regeln.
    Sie gingen wirklich ganz entspannt und locker miteinander um, machten sogar Witzchen und lachten gemeinsam darüber. Zum Kotzen. Ich war offenbar als Einziger am Tisch bei klarem Verstand. Was zur Folge hatte, dass ich kaum was runterkriegte. Mir war einfach absolut nicht nach Essen.
    Also saß ich bloß da, pulte im Käse rum und beobachtete Uwe und meine Eltern bei ihrem Gesellschaftstanz. Meine Mutter war aufgedreht, nervös, lachte immer etwas zu laut und sprang viel zu oft von ihrem Stuhl hoch, um noch irgendwas Überflüssiges aus der Küche zu holen. Uwe bastelte geschickt irgendein Eigenlob in jeden zweiten Satz: welchen VIPs er schon die Nase gerichtet hatte, wie groß sein Verantwortungsbereich an seinem neuen Arbeitsplatz sein würde und dass der Stuttgarter Oberbürgermeister ein Duzfreund von ihm war. Mein Vater wirkte von allen dreien am entspanntesten, aber er redete nur wenig. Er war übrigens der Einzige, der immer wieder mal versuchte, mich ins Gespräch einzubeziehen.

[zur Inhaltsübersicht]
    120
    F ür Dienstagabend ist eine außerplanmäßige Probe der Cosmic Shocks angesagt. Wir werden uns bis zu unserem Konzert so häufig wie möglich treffen, auch wenn das gerade für Moritz und Toshi ziemlich schwierig ist. Die gehen ja schließlich schon richtig arbeiten, und beide haben keine Nine-to-five-Jobs.
    Dafür brauchen sie im Gegensatz zu mir zu Hause natürlich nicht mehr viel zu üben. Es geht jetzt nur um das Zusammenspielen, und das klappt heute ehrlich gesagt nicht besonders gut. Der Einzige, der immer gut gelaunt und positiv zu sein scheint, ist Kenji. Den kann echt nichts aus der Ruhe bringen. Und ihm passiert auch kein einziger Patzer.
    Aber wir anderen drei stümpern uns ziemlich einen zurecht. Moritz gerät mehrmals total aus dem Rhythmus, Toshi greift immer an derselben Stelle daneben, und ich habe das Problem, dass ich meine Einsätze verbasele – entweder komme ich zu früh oder zu spät oder gar nicht. Das Gute ist allerdings, dass die Atmosphäre zwischen uns trotzdem friedlich bleibt. Keiner motzt rum, keiner kriegt die Krise. Wenn es beim vierten Anlauf schon wieder nicht klappt, fangen wir höchstens an zu lachen.

    M einer Meinung nach hätte mein Vater so ein Volkstheater nicht zulassen dürfen. Das war immer noch sein Haus und seine Familie, und er war auch nicht hier, um Nettigkeiten mit seinem Nachfolger auszutauschen, sondern um Dominiks Grab zu besuchen und uns zu unterstützen. Aber es wäre sinnlos gewesen, das zu sagen. Uwe und meine Mutter hielten mich ja sowieso schon für eine unreife, bockige, eifersüchtige Nervensäge. Also hielt ich einfach die Klappe.
    Eigentlich ist das nicht meine Art. Ich meine, früher war das Nicks Rolle gewesen: griesgrämiges Schweigen, genervtes Augenverdrehen, die ganze Palette. Und ich hatte immer das Kontrastprogramm geliefert: Ich hörte aufmerksam zu, ich lachte an den richtigen Stellen, ich reichte höflich den Salzstreuer über den Tisch, noch bevor ich darum gebeten wurde, und äußerte unbefangen meine Meinung zu allem, egal wie wenig Ahnung ich hatte.
    Jetzt hatte ich plötzlich Nicks Platz eingenommen. Übrigens auch im wortwörtlichen Sinne, Uwe saß nämlich auf meinem. Da saß er immer, wenn er bei uns aß. Ich hatte mir nie die Mühe gemacht, es ihm zu sagen, und meine Mutter erst recht nicht. Widerspruchslos nahm ich Dominiks Stuhl, der war ja schließlich jetzt frei. Vielleicht war das der Grund dafür, dass ich so anders drauf war. Weil der Stuhl mit einem Fluch belegt war. Oder irgendeine Wasserader genau darunter entlanglief.
    Nein, natürlich nicht. Da waren ganz andere Kräfte am Werk. Ich hätte die nicht genau beschreiben können, aber sie waren auf jeden Fall viel stärker als irgend so ein Esoterik-Klimbim und ließen mir überhaupt keine Wahl. Selbst wenn ich mich anders hätte verhalten wollen – und ich wollte nicht ! –, hätte ich die ganze Mahlzeit hindurch geschwiegen und jeden gutgemeinten
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