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Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition)
Autoren: T. A. Wegberg
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nicht. Also behielt ich meine komischen Schwächeanfälle einfach für mich. Nur Monika Gerritzen erzählte ich davon. Die guckte ganz besorgt und sagte, ich sollte unbedingt zum Arzt gehen. «Ja, wenn das noch mal passiert, dann mach ich das», sagte ich.

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    L etzte Woche war der Musikunterricht ja ausgefallen, aber heute ziehen wir in den letzten beiden Stunden in die Aula. Unser Lehrer heißt Goetze, ist Mitte dreißig, trägt Jeans, Sneakers und ein Kapuzensweatshirt und gibt uns eine Einführung in die Barockmusik, für die er sich offenbar total begeistert. Ich hätte eigentlich angenommen, dass er auf Indierock steht. Aber man soll ja nicht nur nach dem Äußeren gehen.
    Erst nach zwei Dritteln der ersten Unterrichtsstunde fällt ihm auf, dass ich neu in der Klasse bin. Er stellt die üblichen Fragen – wie ich heiße, woher ich komme und so weiter – und will dann wissen, ob ich ein Instrument spiele. Noch ehe ich überhaupt antworten kann, sagt Kenji: «Das ist der beste Gitarrist, den ich je kennengelernt habe! Der spielt nicht nur einfach – der hat Musik in den Adern!» Alles lacht, auch der Goetze, und ich kriege mit Sicherheit leuchtend rote Ohren.
    Damit ist unser Musiklehrer natürlich neugierig geworden. Er fragt Kenji, woher er das denn weiß, und lässt uns von unserer Band erzählen. Ich hab dabei nicht das Gefühl, dass er uns vorführen oder lächerlich machen will. Es interessiert ihn wirklich. Ein paar Mitschüler verdrehen natürlich die Augen oder lassen ein genervtes Stöhnen hören, aber das ist ja normal. Neid, Eifersucht, pubertäre Blödheit. Wen kümmert’s?
    Jedenfalls nutzt Kenji die Gelegenheit, gleich mal auf unseren Gig in zwei Wochen hinzuweisen, wozu ich niemals den Mut gehabt hätte. Ehrlich gesagt wäre es mir lieber, wenn kein Mensch von diesem Termin erfährt und wir da ganz allein auf der Bühne stehen, dann kann ich mich wenigstens nicht blamieren. Stattdessen zieht der Goetze seinen Kalender raus und lässt sich den Namen des Clubs buchstabieren. Offenbar fährt er doch nicht bloß auf Barockmusik ab. Ich fange an zu schwitzen und vermute, dass ich bis zum Dreißigsten nicht mehr damit aufhören werde.

    M ein Vater kam noch mal übers Wochenende nach Viersen, um mich zu sehen und um zum Friedhof zu gehen und weil er uns einfach vermisste. Wieder hing ich die ganze Zeit an ihm dran wie ein Katzenhaar am Wollmantel. Am liebsten hätte ich ihn nicht mal alleine aufs Klo gehen lassen.
    Gleichzeitig zählte ich im Stillen die Stunden, die uns noch blieben: Montagmorgen musste er wieder zurück nach Berlin. Damit machte ich mir die gemeinsame Zeit natürlich selbst kaputt, aber ich konnte einfach nicht anders. Ich hatte so Angst, ihn gehen lassen zu müssen. Manchmal dachte ich sogar, er wäre besser gar nicht gekommen, damit wir uns nicht wieder trennen mussten.
    Wir gingen mehrmals zu Nicks Grab. Ich zeigte meinem Vater auch all die Gräber von Dominiks Opfern auf dem anderen Friedhof. Einige davon hatte er gekannt. Er kaufte zwanzig rote Rosen, und auf jedes Grab legten wir eine davon. Am Schluss gingen wir zu Melody, die bekam die drei letzten und schönsten.

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    E igentlich sollte ich machen, dass ich nach Hause komme. Wir haben Hausaufgaben in Mathe, Französisch und Geschichte, und morgen schreiben wir die Biologie-Klausur, für die ich dringend üben muss. Ganz zu schweigen von meiner Einarbeitung in das Cosmic-Shocks-Repertoire. Und außerdem habe ich so ein paar Verpflichtungen in Sachen Haushalt, die ich schon die ganze Zeit vor mir herschiebe.
    Aber wir können uns nicht voneinander trennen, sondern stehen noch ganz lange vor dem Schultor und quatschen. Komischerweise fallen uns ständig neue wichtige Themen ein, die wir unbedingt sofort besprechen müssen. Es ist also keineswegs so, dass wir nur die Zeit totschlagen, sondern wir reden tatsächlich. Eine Weile war Maxi mit dabei, aber er hat kaum was gesagt und ist dann auch ziemlich bald abgehauen. Ich glaub, er mag die anderen nicht. Vielleicht mag er mich auch nicht mehr.
    Als ich endlich nach Hause komme, ist es schon halb fünf, und mein Lerneifer ist ziemlich gedämpft. Also schludere ich die Hausaufgaben viel hastiger runter, als ich eigentlich vorhatte, und nehme mir dann das Biologie-Buch vor, auf das ich mich nicht konzentrieren kann, weil ich dauernd denke, dass ich dringend Gitarre üben muss. Vor lauter Frust gehe ich schließlich staubsaugen
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