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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen
Autoren: Reinhard Febel
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Die Vögel zwitscherten, ein quietschendes Räderwerk, das die Sonne höher und höher gegen Mittag schraubte. Wie immer am späten Vormittag kam die Zofe vorbei und brachte Neues, also – wie fast immer – nichts Neues. Der König schlafe (»Seit drei Tagen?«), zumindest sei es in seinen Gemächern still – bis auf gewisse Geräusche ab und zu, von denen … Die Zofe errötete und wechselte das Thema: Nein, neue Befehle gebe es nicht, man müsse warten. Wie auch die vielen Gesandten, Bittsteller und Räte.
    »Wann endlich kann ich meine Stunde haben?«, rief Maria Barbara. »Sieben Jahre habe ich geübt wie eine verzauberte Prinzessin und jetzt …« Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Was für ein Albtraum von Schwiegervater! Schläft mehr als eine Katze, redet wirr, sieht einen nicht an …

6
    Eine Schwindsüchtige war, nachdem sie ein paar Tage lang Blut gespien hatte, in alter Gewohnheit zu ihrer Lieblingskirche gepilgert, der dunklen Wallfahrtskapelle, um wieder einmal die hölzerne Ferse des hinter dem ewigen Licht angebrachten Christus zu küssen. Sie war dafür um den Altar herum zu dessen Rückseite gewandelt, hatte sich über eine kleine Treppe hinauf dem Fuß genähert, für den in der Glasscheibe, die Jesus von hinten abschloss, eine Rundung freigelassen war, hatte sich dann gebückt und, wie so oft, den Kontakt der Lippen mit dem Holz vollzogen, dabei gleichzeitig, zur Sicherheit, auch das Ende des gipsernen Kreuzes berührt, welches über das Gewand des Erlösers rückwärtig hinausragte. Ihr war nicht klar, dass sie damit ihre Krankheitserreger auf ebendieser Ferse deponierte und so für die weitere Verbreitung des Übels sorgte. Schlimmer noch, dass sie sich genau hier selbst den Bazillus geholt hatte, und zwar, als sie wegen eines geringeren Leidens, nämlich lediglich eines Schnupfens, vor Monaten dieselbe heilige Handlung bereits mehrmals ausgeführt hatte.
    Der Christus aber blickte in seiner hölzernen und gipsernen Erstarrung nicht hinter sich und schritt, bekränzt mit einer Dornenkrone, die ihm ein zweiter Bildhauer vor ein paar Jahrzehnten verpasst hatte, auf seiner ewigen und übermenschlichen Spur fürbass durch des Kirchenschiffes Luftozean.
    Erleichtert und hoffnungsvoll trat die Frau wieder in das Licht hinaus und ging ihres Weges. Der Platz vor dem Eingangsportal war schön, verwunschen und von der Sonne bestrahlt.
    Auch Escarlati war, an seinem zweiten Tag in Sevilla, zu dieser Wallfahrtskirche gelangt, war mehr oder weniger zufällig der Frau gefolgt, in das Dunkel mit dem Holzchristus getreten, eines von vielen Gotteshäusern zweiten Ranges, welche die von der Giralda ausgehenden Ausfallstraßen säumten und von ihr überschattet wurden wie Küken von der Henne, hatte zunächst den gleichen Weg genommen wie die Kranke auf der Suche nach Heilung, war dann aber aus der Warteschlange vor dem begehrten Holzfuß ausgeschert. Das gefiel ihm nicht.
    Schon früh an diesem Morgen war er aufgebrochen und durch das Palasttor marschiert. Ein halbes Dutzend Mal bereits hatte Escarlati seinen Passierschein durch die seitliche Luke geschoben, doch offensichtlich war das noch nicht genug. Vielleicht besaß er in der Tat ein Allerweltsgesicht? Oder eines, das immer, ohne dass man es will, spricht: Erinnere dich nicht an mich!
    Auch an diesem Morgen also hob der Wachmann – dessen Züge Domingo bereits in- und auswendig kannte – seine rechte Hand, um das Papier entgegenzunehmen, wobei es Domingo allerdings vorkam, als habe sich in die Bewegung ein kurzes Zögern eingeschlichen: Man machte also doch Fortschritte!
    Der König schläft. Escarlatis Verbindungsmann ins Innerste, der Sekretär, hatte bedauernd mit den Schultern gezuckt, dabei die Hände in Betstellung neben das rechte Ohr gehoben, ein senkrechtes Kissen andeutend. Regieren macht müde, sicherlich, doch ist es denn gar so schwer, dieses verschlafene Spanien am Laufen zu halten? Und andererseits, wer sieht denn während der langen königlichen Nickerchen nach dem Rechten?
    Ohne Befehle des obersten Schläfers geht nichts, kein Empfang, keine Soiree, kein Unterricht. Escarlati hatte sich im Niemandsland des königlichen Träumers eingerichtet, war zwar begierig, seine Schülerin wiederzusehen, ließ sich aber notgedrungen zweifach treiben; im Äußeren durch die neue Stadt und das neue Land und im Inneren durch sich selbst, auf der Suche nach Klängen und Ideen, nach dem Neubeginn dort.
    Er setzte sich an die Bar gegenüber dem
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