Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Titel: Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
sagte sie. »Ich weiß nicht, ob Sie je einen Menschen verloren haben, der Ihnen nahestand, aber es gibt Tage, da fühlt man sich, als bekäme man die Grippe. Der ganze Körper tut einem weh, und der Kopf ist so verstopft, dass man nicht mehr richtig denken kann. Ich bin froh, dass ich Gesellschaft habe. Man lernt jede Ablenkung zu schätzen. Seinen Gefühlen kann man nicht aus dem Weg gehen, aber eine kurzfristige Erleichterung nützt auch schon etwas.« Sie neigte dazu, sich beim Sprechen die Hand vor den Mund zu halten. Offenbar war ihr die Verfärbung an ihren beiden Schneidezähnen peinlich, die, wie ich nun sah, auffallend grau waren. Vielleicht war sie als Kind gestürzt oder hatte Medikamente einnehmen müssen, die den Zahnschmelz dunkel färbten. »Woher kennen Sie Robert Dietz?« fragte sie.
    »Ich habe ihn selbst vor ein paar Jahren engagiert, damit er mich beschützt. Jemand hat mein Leben bedroht, und Dietz hat dann als mein Leibwächter gearbeitet.«
    »Was macht sein Knie? Es hat mir leid getan, zu hören, dass er das Bett hüten muß.«
    »Das wird bald verheilt sein. Er ist ja zäh. Außerdem ist er schon wieder auf den Beinen.«
    »Hat er Ihnen von Tom erzählt?«
    »Nur, dass Sie erst seit kurzem verwitwet sind. Weiter weiß ich nichts.«
    »Dann kläre ich Sie mal auf, obwohl ich eigentlich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Womöglich halten Sie mich ja für verrückt, aber ich kann Ihnen versichern, dass ich das nicht bin.« Sie nahm einen Zug von ihrer Zigarette und seufzte eine Handvoll Rauch aus. Ich erwartete Tränen, während sie erzählte, doch die Geschichte rollte in valiumbedingter Gelassenheit ab. »Tom hatte einen Herzinfarkt. Er war auf der Straße unterwegs... etwa zehn Kilometer von hier entfernt. Es war zehn Uhr abends. Er muß es früh genug gemerkt haben, um am Straßenrand anzuhalten. Ein Officer der Highway Patrol namens James Tennyson - ein Freund von uns -erkannte Toms Geländewagen, sah, dass er die Warnblinkanlage eingeschaltet hatte, und hielt an, um nachzusehen, ob er Hilfe brauchte. Tom war über dem Lenkrad zusammengesunken. Ich war auf einer kirchlichen Versammlung, und als ich nach Hause kam, standen zwei Streifenwagen in der Einfahrt. Sie wissen doch, dass Tom als Detective im Sheriffbüro gearbeitet hat?«
    »Das wußte ich nicht.«
    »Ich hatte ständig Angst, dass er eines Tages bei seiner Arbeit ums Leben kommen würde. Nie hätte ich gedacht, dass er auf diese Weise stirbt.« Sie hielt inne, zog an ihrer Zigarette und benutzte den Rauch als eine Art Interpunktion.
    »Das muß schwer gewesen sein.«
     »Es war entsetzlich«, sagte sie. Erneut führte sie die Hand vor ihren Mund, während ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Ich kann immer noch nicht daran denken. Ich meine, soweit ich weiß, hatte er nie irgendwelche Symptome. Oder sagen wir mal so: Falls er welche hatte, hat er mir nichts davon erzählt. Er litt an hohem Blutdruck, und der Arzt hat ihn bedrängt, das Rauchen aufzugeben und Sport zu treiben. Sie wissen ja, wie Männer sind. Er hat alles abgetan und einfach so weitergemacht, wie es ihm paßte.« Sie legte die Zigarette beiseite, damit sie sich die Nase putzen konnte. Warum spähen die Leute eigentlich immer in ihre Taschentücher, um nachzusehen, was ihnen ihr lärmendes Schneuzen eingebracht hat? »Wie alt war er?«
    »Kurz vor dem Ruhestand. Dreiundsechzig«, antwortete sie. »Aber er hat nie auf sich geachtet. Ich glaube, die einzige Phase, in der er in Form war, war während seiner Armeezeit und direkt danach, als er auf der Polizeischule war und als Hilfssheriff eingestellt wurde. Danach gab's während der Arbeit nur noch Koffein und Fast food und Bourbon, wenn er nach Hause kam. Er war kein Alkoholiker - verstehen Sie mich nicht falsch -, aber er trank abends gern einen Cocktail. In letzter Zeit hatte er Schlafstörungen. Er ist immer im Haus umhergeschlichen. Ich habe gehört, wie er auf war, um zwei, drei, fünf Uhr morgens, und Gott weiß was gemacht hat. In den letzten Monaten hat er immer mehr abgenommen. Der Mann aß kaum noch, er rauchte nur, trank Kaffee und starrte aus dem Fenster in den Schnee hinaus. Manchmal dachte ich, er würde bald die Nerven verlieren, aber das kann auch nur meine Einbildung gewesen sein. Er hat nie ein Wort gesagt.« »Klingt, als wäre er irgendwie unter Anspannung gestanden.« »Genau. Das dachte ich auch. Tom war eindeutig gestresst, aber ich weiß nicht, warum, und das macht mich wahnsinnig.«
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher