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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Paragraphen. Es hat gar keinen Sinn, dagegen Sturm zu laufen. Ein kleiner, sturer Beamter auf seinem harten Stuhl hinter dem Tisch, sei es im Jugendamt, im Ordnungsamt oder beim Bauamt, hat die Macht eines Diktators und kann das Leben des einzelnen mit einem kleinen Nein lahmlegen. Beschwerden? Haben Sie schon mal erlebt, daß Dienstaufsichtsbeschwerden zu einer wirklichen Abstellung der Mängel geführt haben? Im Gegenteil – die obere Aufsichtsbehörde erfand noch massivere Dinge, um den ungeduldigen Bürger in den Hintern zu treten. Beschwerden gegen deutsche Beamte sich gleichbedeutend mit einer Selbstzerfleischung.«
    »Und trotzdem gehen wir gegen diesen Bescheid vor!« rief Wollenreiter. »Und wenn ich das Geld bezahle, das die Jugendämter wollen!«
    »Ich habe bereits mit dem Regierungspräsidenten gesprochen und ihm alles geschildert.« Professor Karchow hob die Schultern. »Mal sehen, was dabei herauskommt. Julia und Franz Höllerer, die Eltern Marias, sind bereit, das Kind noch einmal zu stehlen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Und, verdammt noch mal, meine Herren, ich bin versucht, ihnen dafür sogar die Fenster offen zu lassen und ihnen eine Leiter an die Mauer zu stellen.«
    »Bravo!« rief Dr. Wollenreiter. Karchow sah ihn mißbilligend an.
    »Wollenreiter, Ihre verzückten Ausrufe sind fehl am Platze. Wir begeben uns auf das Gebiet der Ungesetzlichkeit. Aber ich hoffe, daß wir diesen Schritt nie tun brauchen. Sie halten Ihr Angebot aufrecht, die Kosten zu übernehmen?«
    »Natürlich! Maria ist schließlich mein Patenkind.«
    »Stimmt ja.« Karchow lächelte und ging hinter seinen Schreibtisch. Er straffte sich, und plötzlich verflog alle familiäre Stimmung, die bisher im Chefzimmer geherrscht hatte. Die Ärzte bekamen ernste Gesichter … der Herr der Klinik stand vor ihnen, er hatte sein gefürchtetes ›amtliches‹ Gesicht aufgesetzt. Er wurde dienstlich.
    »Meine Herren«, sagte Karchow mit veränderter, hellerer Stimme, »ich habe Sie zusammengerufen, um Ihnen einige Mitteilungen aus der Klinik zu machen. Erstens: Oberarzt Dr. Julius wird ab dem Herbstsemester eine außerordentliche Professur für Chirurgie annehmen und mit unserer Klinik dann nur noch lose verbunden sein, als Gastchirurg gewissermaßen. Zweitens: Mit dem Ausscheiden von Professor Julius habe ich mich entschlossen, die vakant werdende Oberarztstelle schon jetzt zu besetzen, um keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen. Ich habe dafür Herrn Dr. Wollenreiter vorgeschlagen –«
    Dr. Wollenreiter bekam plötzlich einen hochroten Kopf, aber er schwieg. Karchow sah ihn groß an.
    »Wollen Sie, Wollenreiter?«
    »Ja, Herr Professor …«, sagte Wollenreiter leise.
    Die amtliche Maske fiel von Karchow ab, er lachte wieder.
    »Meine Herren«, rief er fröhlich, »ich bitte Sie, ein Phänomen mit aller ihm gebührenden Achtung wahrzunehmen: Wollenreiter ist zum erstenmal sprachlos geworden!«
    Am Bett von Dr. Julius saßen zu dieser Stunde Julia und Franz Höllerer. Sie hatten einen großen Blumenstrauß mitgebracht und eine Flasche Wein. Außerdem einen Brief vom Jugendamt, der ungefähr die gleichen Ausführungen enthielt wie das Schreiben an Professor Karchow, nur kürzer, knapper, unpersönlicher, holzhammerähnlicher, mit einem Wort: amtlicher.
    »Hätten wir das gewußt«, sagte Franz Höllerer, nachdem Dr. Julius den Brief gelesen hatte, »wären wir in eine andere Stadt mit dem Kind gefahren und hätten es dort in ein Krankenhaus gebracht. Die Fahrt hätte es auch überstanden, aber wir bekämen es jetzt ohne Schwierigkeiten zurück.«
    »Ich habe Franz gesagt, daß ich zur Polizei gehe und alles gestehe«, sagte Julia gepreßt. »Ich halte das einfach nicht mehr aus.«
    »Und das Geld bezahle ich auch.« Franz Höllerer verkrampfte die Hände ineinander. »Ich verdiene zwar nicht klotzig, aber ich mache Überstunden, ich bekomme das Geld schon zusammen.«
    »Es sind etliche hundert Mark, wissen Sie das?« Dr. Julius lag noch immer mit seinen Bandagen im Bett, aber er konnte jetzt atmen ohne Schmerzen und spürte, wie von Tag zu Tag die Genesung fortschritt.
    »Und wenn! Ich kann arbeiten, Herr Doktor! Ich habe starke Arme! Ich mache mir nicht bange vor einer Arbeit! Ich werde dort anfangen, wo's am meisten Geld gibt für die Stunde. Für mein Kind tue ich alles.«
    »Und ich gehe auch ins Gefängnis, wenn's sein muß –«, sagte Julia leise. »Ich habe mit Vater darüber gesprochen. Er ist auch dafür, daß ich zur
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