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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ärzte dabei umfallen –«
    Und sie faßten sich an den Händen, blieben an der Scheibe zum Flur stehen und warteten weiter.
    Sie waren in einer Welt, in der sie sich winzig wie Käfer vorkamen.
    Die Erschöpfung Dr. Julius' ließ nach einer Stunde nach. Man hatte ihm stärkende Injektionen gegeben, eine Traubenzuckerinfusion und nachher, als er wieder ›funktionsfähig‹ – wie man so schön sagt – war, ein großes Glas Rotwein.
    Prof. Hahnel saß an seinem Bett. Karchow kümmerte sich um die getrennten Zwillinge, um ihre Sauerstoffbeatmung und ihr erste Minuten nach dem Aufwachen aus der Narkose. Außerdem hatte er für den Nachmittag die Presse bestellt. Gleich nach der gelungenen Operation ließ er vom Sekretariat überall bei den Redaktionen und Pressediensten anrufen und die Großtat der modernen Chirurgie verkünden. Er ließ verbreiten, daß er bereit sei, den Hergang dieser einmaligen Leistung anhand von Skizzen volkstümlich zu erläutern. Um 17 Uhr. Im Kasino der Klinik ›Bethlehem‹.
    Prof. Karchow war in Hochstimmung. Der Gipfel des internationalen Ansehens war erklommen. Eine gelungene Siamesentrennung in seiner Klinik. Wenn auch Julius operiert hatte – die Großtat der Chirurgie blieb mit dem Namen Karchow verbunden, denn nach dem alten Brauch deutschen akademischen Denkens stand der Name des Klinikchefs immer am Anfang. Es ist wie in einer Schlacht … die Soldaten kämpfen und verbluten und ersterben den Sieg, aber der Feldherr wird gefeiert. Warum das so ist … wer kann darauf eine logische Antwort geben? Es bleibt ein Geheimnis vorgesetzlichen Denkens.
    Prof. Hahnel reichte Dr. Julius wieder das Rotweinglas und stützte ihn, indem er beide Hände gegen den Rücken preßte.
    »Ich möchte eines von Ihnen wissen, Julius«, sagte er. »Aber bitte, seien Sie ehrlich. Als Sie die Operation begannen … glaubten Sie da schon, daß sie Ihnen gelingen würde?«
    »Nein«, sagte Dr. Julius schwach.
    »Und trotzdem griffen Sie zum Skalpell?«
    »Ich hatte kaum etwas zu verlieren. Entweder starben die Zwillinge an gemeinsamer Kreislaufschwäche, oder sie starben durch die Operation … oder sie überlebten! Es war eine Chance 1 : 99. Wir haben dieses 1 Prozent erwischt. Nennen wir es unverschämtes Glück.«
    »Warum so bescheiden? Sagen wir: Können! Phänomenales Können!«
    Dr. Julius schüttelte den Kopf. »Es hätten auch andere gekonnt. Ich hatte genug Zeit, mich darauf vorzubereiten.«
    »Vielleicht muß man jung und so selbstbewußt wie Sie sein, um so etwas zu wagen.« Prof. Hahnel nahm Dr. Julius das Rotweinglas ab. »Haben Sie noch einen Wunsch, Julius?«
    »Ja. Lassen Sie mich zurückschaffen in die Unfallklinik. Ich möchte mich bei meiner Braut erholen –«
    Prof. Hahnel lachte laut. »Auch das noch! Nach dieser Tat noch Gedanken an Liebe! Erzählen Sie das keinem Amerikaner … der macht aus Ihnen eine Comic-strips-Figur. Der Tarzan der Chirurgie!« Er stand auf und schellte nach der Stationsschwester. »Aber Sie sollen Ihren Willen haben und sich in den Armen Ihrer Braut ausruhen …«
    »Die hängt im Streckverband –«
    »Himmel noch mal … was ist denn an Ihnen normal?« Prof. Hahnel schlug die Hände zusammen. Dr. Julius lächelte müde.
    »Mein Bedürfnis nach Schlaf.« Er schloß die Augen. »Man soll mich nachher röntgen. Ich glaube, ein Rippensplitter steckt noch im Brustmuskel. So verrückt können keine normalen Schmerzen sein –«
    Die Pressekonferenz gelang prächtig.
    Die getrennten Zwillinge lebten beide, solange die Fotografen knipsten und blitzten und die beiden kleinen Köpfe unter dem Sauerstoffzelt der Nachwelt in dramatischen Bildern erhielten.
    Aber während Prof. Karchow an einer großen Wandtafel die Operation schilderte und die Fernsehkameras liefen und wie fleißige Bienen surrten und summten, kam Dr. Wollenreiter zu ihm und flüsterte ihm zu:
    »Zwilling I ist soeben verstorben. Wir konnten den Kreislauf nicht mehr halten.«
    Prof. Karchow nickte und erklärte unbefangen weiter.
    »Nach Eröffnung der Schädelhöhlen –«
    Die Operation war gelungen, die Kinder hatten noch einige Stunden gelebt, eines lebte ja immer noch und würde auch weiterleben. Aber darum ging es ja nicht in diesen Minuten der Pressekonferenz. Es ging allein darum, eine chirurgische Einmaligkeit der Welt vorzustellen.
    Aus der Klinik Prof. Karchows. Ausführender Chirurg Oberarzt Dr. Julius.
    »Wer weiß, wie schwer im Zerebralraum eine Operation bei einem Kinde ist, wird
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